Neujahrskonzert: Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim lädt zu einer musikalischen und literarischen Reise durch Europa ein und begeistert das Publikum in der Kelter.
Einen echten Hörgenuss versprach Bürgermeister Joachim Kölz den Besuchern in der nicht ganz ausverkauften Kelter am Sonntagabend, und er sollte recht behalten. Die Mitglieder der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim unter ihrem Dirigenten und musikalischen Leiter PeterWallinger stimmten bei ihrem traditionellen Neujahrskonzert virtuos auf die kommenden Wochen und Monate ein. „Das Konzert steht unter dem Motto ‚Europäischer Frühling‘, obwohl in unserer Stadt gerade der Winter eingekehrt ist“, leitete Bürgermeister Kölz in den Abend ein. Aber bekanntlich habe der Winter die Stadt meist nicht von allzu lange im Griff, sodass sich die Konzertbesucher bereits auf den Frühling freuen könnten. Das Motto lasse sich aber auch im übertragenen Sinne deuten. Zwischen einigen Staaten Europas herrschte im vergangenen Jahr frostige Stimmung in ihren wechselseitigen Beziehungen. „Daher hoffen wir darauf, dass in diesem Jahr bei diesen Kontakten wieder mehr der Frühling präsent ist“, betonte Bürgermeister Kölz in seiner einleitenden Ansprache.
„Wir hoffen in Europa auf mehr Frühlingspräsenz.“
Joachim Kölz · Bürgermeister
Danach ergriff Schauspieler Johann-Michael Schneider das Wort und machte den Besuchern Appetit auf Musik aus vier Himmelsrichtungen in Europa. Den Auftakt dabei machte Großbritannien mit dem bekannten Komponisten Benjamin Britten und seiner „Simple Symphony“, von der die Musiker der Kammersinfonie drei Sätze vortrugen. Besonders im zweiten Satz, dem spielerischen „Pizzicato“, zupften die Akteure vorwiegend an Violine, Kontrabass oder Violoncello. Dieses Werk, das Britten im Alter von 20 Jahren schrieb, enthält viele Passagen, die der englische Komponist schon in seiner Kindheit und Jugend arrangiert hatte. Entsprechend frisch, unbekümmert und heiter waren die Melodien, bei denen auch immer wieder auf Walzerklänge und barocke Tänze Bezug genommen wurde bis hin zum kraftvollen Finale. Zwischen den einzelnen Sätzen rezitierte Theater-Schauspieler Johann-Michael Schneider bekannte Verse von Wystan Hugh Auden, der zu den größten englischen Lyrikern des 20. Jahrhundert zählt. „Manch einer sagt, Liebe sei kindisch, mancher sagt, sie sei federleicht, für manchen dreht sie die Welt im Kreis, manch andrer findet’s zu seicht“, zitierte Schneider aus „Sag mir die Wahrheit über die Liebe“, und die Verse harmonisierten mit der beschwingten Musik Brittens.
Von England begaben sich Musiker und Besucher in den hohen Norden nach Finnland, wo Komponist Pehr Henrik Nordgren zu Hause war. Seine Streichersuite „Pelimannimuotokuvia op. 26“ intonierten die Mitglieder der Kammersinfonie in gekonnt brillanter Weise, indem sie den Charakter des Werks, mit dem sich der Komponist der Folklore widmete, schwungvoll deutlich werden ließen. Literarisch wurde die Musik umrahmt von der seltsam erscheinenden Novelle „Die Busfahrt“ der finnischen Autorin Suvi Vaarla.
Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim unter der Leitung von Peter Wallinger lud zur Reise durch Europa ein.
Vom kalten Norden ging es in den sonnigen Süden nach Italien, wo schon Komponist Ottorino Respighi mit seiner Orchestersuite aus „Antiche Danze ed Arie“ wartete. Der Italiener ließ sich bei diesem Werk von Lautenklängen aus längst vergangenen Zeiten inspirieren und hat diese neu interpretiert. Die Rhythmen der Kammersinfonie muteten bisweilen mystisch, dann wieder kraftvoll oder auch spielerisch leicht an.
Dazu las Schauspieler Schneider aus Elio Vittorinis Roman „Gespräche in Sizilien“, in dem dieser Kindheitserinnerung und die Liebe zu seinem Heimatland Italien verarbeitete. Zum Abschluss des Neujahrskonzerts stattete die Kammersinfonie noch Ungarn einen Besuch ab. Vielfältig, manchmal wild und ausgelassen waren die Klänge der „Rumänischen Volkstänze“, die Béla Bartók für Streichorchester und Solovioline komponiert hatte. Inspiriert wurde der Ungar dazu von den Melodien und Volksliedern, die er in den Dörfern Siebenbürgens gesammelt hatte, das damals noch zu Ungarn gehörte. Variantenreich waren auch die Bekenntnisse von Autor Dezsö Kosztolänyi in „Ein Held und seine Zeit“, aus denen Schneider ergänzend vortrug. Den besonderen Applaus des Publikums verdiente sich bei diesem Finale des Neujahrskonzerts Konzertmeisterin Sachiko Kobayashi an der Solovioline.
Erst Stuttgarter Raum, jetzt aus 13 Nationen
Um ausgetretene Pfade zu verlassen, wurde die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim1984 von ihrem musikalischen Leiter Peter Wallinger gegründet. Er ist heute international als Gastdlrigent tätig. Inzwischen stammen die engagierten Mitglieder des Orchesters aus dem gesamten süddeutschen Raum und es sind bis zu 13 Nationen vereint. Mehrmals im Jahr schließen sich die bis zu 40 Musiker zusammen, um erlesene Konzertprogramme miteinander einzustudieren. bz
Michaela Glemser