17.05.2023, Pforzheimer Kurier
Tjeerd Top lässt die Violine singen
mehr
Reihe „Mühlacker Concerto" endet mit fulminanter Zusammenstellung

Mühlacker. Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim hat am vergangenen Sonntag zu einem Konzert in den Uhlandbau eingeladen. Es war der Schlusspunkt der Konzertreihe „Mühlacker Concerto". Mancher Freund „traditioneller" Klassik" mag sich zweifelnd gefragt haben: Passt das zusammen? Ein Violinkonzert von Beethoven und eine Polonaise von Schubert wurden geboten, jeweils mit Solo-Violine. Dazu dann eine Kammersinfonie von Mieczyslaw Weinberg? Wer aber war Weinberg?
Dirigent Simon Wallinger baute Brücken. Er überzeugte mit seinem klaren, unmissverständlichen Dirigat zunächst seine Musikerinnen und Musiker, die auch seinem kleinsten Fingerzeig folgten und so mit ihren facettenreichen Interpretationen das Publikum begeisterte. Mit dabei Tjeerd Top, Erster Konzert meister im Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam, der mit seiner Stradivari wahrlich zaubern konnte.
Zum Auftakt erklang Beethovens C-Dur-Violinkonzert. Nur 259 Takte hat er selbst komponiert - 1870 wurde das Fragment entdeckt, und war Anreiz für zahlreiche Komponisten, es zu vervollständigen. Wallinger hatte die meistgespielte Version von Josef Hellmesberger (1879) gewählt, aus der das Allegro con brio erklang. Ganz still wurde es im Saal. Denn der Maestro an der Violine bot alles auf, was überhaupt mit diesem Instrument möglich ist furiose Tempi in mächtigem Fortissimo, knackige Pizzicati, berauschende Klangfolgen, in die zartestes Piano einfloss, kaum noch hörbar, aber bis zum letzten Bogenstrich kristallklar und transparent. Das Cantabile in der Romanze verstand Top wörtlich und ließ seine Violine singen. Beschwingt und heiter lud er dann zum Tanz der Polonaise ein.
Ebenfalls staunenswert war das stets harmonische Zusammenspiel mit dem Orchester,das mitsichtbarer Spielf reude seinem Dirigenten „gehorchte".
Wallinger tat gut daran die Zuhörer auf die nun folgende „Zeitenwende" im Programm mit einführenden Worten vorzubereiten. „Weinberg hat viele Extreme ausgereizt. Seien Sie gefasst auf wilde Kampfszenen neben leisen Passagen bis hin zur Hörgrenze", so der Dirigent. Es war tatsächlich ein enormer Kontrast zum bisherigen Programm. Weinberg ging neue Wege. Die Art, wie er die Stimmen, nur Streicher, ohne Bläser, nach und nach zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügte, ließ sich dennoch erstaunlich gut verstehen und ist dem Dirigenten zu verdanken, der behutsam, aber auch mit der vom Komponisten geforderten Kraft die mal fließenden, dann abrupten Klangfolgen entschlüsselte.
„Weinberg war heute unser Favorit", äußerte sich ein Ehepaar aus Maulbronn, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Klangfarben der einzelnen Instrumente empfand ich viel prägnanter. Für mich war es ein völlig neues, ganz intensives Hörerlebnis", erklärte begeistert die Ehefrau.
Gemessen an dem Riesenbeifall zum Schluss, kann Mühlacker Concerto dieses Konzert als großen Erfolg buchen. Warum nur rund 100 Musikfreunde den Weg in den Uhlandbau fanden, stimmt dennoch traurig.
Autorin: Eva Filitz
weniger17.05.2023, Mühlacker Tagblatt
Saisonabschluss bietet unerhörte Klangwelten
mehr
Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim spielt unter der Leitung von Simon Wallinger und mit Tjeerd Top als Solisten.

Foto: Fotomoment
Mühlacker. Musikalische Raritäten standen am Sonntag im Mittelpunkt des Frühjahrskonzerts der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim im Uhlandbau mit Simon Wallinger am Dirigentenpult.
Ludwig van Beethoven schuf als Zwanzigjähriger ein selten zu hörendes, erstes Violinkonzert in C-Dur, das nur als einsätziges Fragment erhalten ist, das aber als Frühwerk bereits alle charakteristischen Eigenschaften des Komponisten erkennen lässt. Eine brillante Interpretation des Soloparts lieferte Tjeerd Top, Erster Konzertmeister im renommierten Concertgebouw Orchester Amsterdam, auf seiner Stradivarius-Violine aus dem Jahre 1713. Insbesondere die Kantilenen in hoher Lage erklangen auf diesem edlen Instrument in vollendeter Schönheit.
Wie ein langsamer, intimer „Mittelsatz“ erklang im direkten Anschluss die Romanze in F-Dur opus 50 für Violine und Orchester von Beethoven. Ohne Unterbrechung durch Applaus, wie ein heiterer „Schlusssatz“ eines Violinkonzerts, folgte die Polonaise in B-Dur von Franz Schubert. Mit einem Wiegenlied der „Red Hot Chili Peppers“ bedankte sich Tjeerd Top für den reichen Beifall und verblüffte dabei das Publikum mit dem kunstvollen, gleichzeitigen Streichen und Zupfen der Saiten.
Eine weitere Besonderheit war nach der Pause, jetzt ohne Bläser, mit Mieczysław Weinbergs Kammersinfonie Nummer 3 von 1990 zu hören – einem faszinierenden Spätwerk von höchster Expressivität, in dem sich die bewegte Biografie des jüdischen Komponisten eindrucksvoll niederschlägt. Unerhörte Klangwelten eröffnen sich in dem 35-minütigen Werk in reiner Streicherbesetzung. Die Extreme reichen von leisesten Unisono-Passagen an der Hörschwelle bis zu gewaltigen, hochexpressiven Klanggebilden. Doch inmitten dieser bisweilen exzessiv bizarren Klangmassen offenbart sich immer wieder versöhnlicher Schönklang im reinen Streicherton.
Simon Wallinger hat sich mit spürbar großem Engagement dem anspruchsvollen Werk gewidmet und mit den hochmotiviert spielenden Musikern des Orchesters eine beeindruckende Interpretation gemeistert. Ein eher nachdenkliches Menuett von Schubert als Zugabe beschloss den eindrucksvollen Konzertabend. pm
weniger16.05.2023, Pforzheimer Zeitung
Frühlingskonzert der Sueddeutschen Kammersinfonie in Mühlacker
mehr
Beeindruckender Auftritt bot einige Besonderheiten.


Geschickte Überlegung bei der Programmgestaltung am Sonntagabend: Drei Orchesterstücke mit Violin-Solopart wurden sinnfällig wie ein dreisätziges Violinkonzert mit lebhaften Ecksätzen und langsamem Mittelsatz zu einer Einheit gefügt und ohne Pausenapplaus interpretiert. Zudem veredelte ein exzellenter Solist die Wiedergabe. Tjeerd Top, der in Mühlacker dank mehrerer Gastauftritte gut bekannte Konzertmeister des Concertgebouw-Orchesters Amsterdam, spielte mit Elan und klangschöner Klarheit auf seiner Stradivarius-Geige. Nicht das geringste Nebengeräusch oder Krätzerchen waren zu hören.
Das Frühjahrskonzert der Sueddeutschen Kammersinfonie im Uhlandbau hatte freilich weitere Besonderheiten zu bieten. Nachwuchsdirigent Simon Wallinger, der Sohn des Orchesterchefs Peter Wallinger, leitete den gesamten Konzertabend. Vor der Pause die erwähnten, in ihrer Dynamik so unterschiedlichen Kompositionen: Ludwig van Beethovens selten zu hörendes, schwungvolles Violinkonzert-Fragment in C-Dur (Wo 05), von dem nur ein „Allegro con brio“ existiert. Anschließend Beethovens populäre Romanze F-Dur (op. 50), ein romantisches Bravourstück mit samtweichem Solopart, und zum Schluss Franz Schuberts tänzerische Polonaise B-Dur (D 580). Eine Bläsergruppe bereicherte die frühlingshaft hellen Klanglandschaften. Als Zugabe offerierte Top das kunstvoll-virtuose, zerbrechlich-zarte Solostück „Porcelain“ aus seiner neuen CD „Fragile“.
Leidenschaftliches Engagement
Nach der Pause präsentierten sich das Orchester, das nun als reines Streicherensemble agierte, und sein jugendlicher Dirigent mit spürbar leidenschaftlichem Engagement für das musikalische Extreme ausreizende Werk des polnisch-jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919-1996). Der wenig bekannte Meister ist – wie Wallinger einleitend bemerkte – eine Entdeckung und besitzt eine bewegte, sich in seinen Kompositionen niederschlagende Biografie. Sein Oeuvre umfasst auch vier Kammersinfonien, von denen beim Frühlingskonzert die 1990 entstandene Nr. 3 (op. 151) als Fortsetzung des angekündigten „Weinberg-Zyklus“ geboten wurde.
Der schwermütige erste Abschnitt „Lento“ setzte mit Unisonogesang der Violinen ein, dunkles Bass-Geraune folgte. Einen starken Kontrast dazu bildete der zweite Satz. Das rasante „Allegro molto“ rauschte mit kämpferisch-wildem Klanggetümmel vorbei und mündete in dreifaches Fortissimo ein. Ein klangseliges „Adagio“ und ein „Andantino“ mit eingeschobenem Violinsolo, das sich wie eine intensive Erlösungssuche anhörte, fügten sich an. Eine rätselhafte Musik, die auch das herzlich applaudierende Publikum tief beeindruckte.
Autor: Eckehard Uhlig
weniger15.05.2023, Bietigheimer Zeitung
Minutenlanger Applaus für Geigenvirtuosen
mehr
Mit Tjeerd Top aus Holland gestaltet die Süddeutsche Kammersinfonie ein Konzertbonbon in Bietigheim.

Aus der Fülle von Literatur für Geige solo mit Orchester stellte die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim eine eigene „Symphonie“ in drei Teilen zusammen und gestaltete ein charmantes Frühlingskonzert am Samstagabend im Kronenzentrum.
Beethovens selten gehörtes Violinkonzert in C-Dur stellt die Geige als selbstbewusste Energieträgerin vor. Die F-Dur-Romanze Beethovens zeigt ihr sinnliches, schwärmerisches Wesen. Die Polonaise in B-Dur von Franz Schubert entwirft das Bild einer Tänzerin von ihr. Der Geiger des Abends Tjeerd Top küsst all diese Seiten bei der hölzernen Lady wach. Beethoven hat für sie sogar eine eigene Gattung kreiert, die Romanze.
Tjeerd Top als Konzertmeister des Amsterdamer Concertgebouw kommt strahlend auf die Bühne und wird mit warmem Applaus willkommen geheißen. In Holland hat er einen großen Namen, in Bietigheim lernen ihn Kenner und Liebhaber klassischer Musik gerade erst kennen. Der Geiger mit dem Schmunzeln im Gesicht geht in einen lebendigen Dialog mit dem Bietigheimer Orchester. Das Ensemble besteht aus klangstarken Charakteren in jeder Stimme. Deshalb hat die Besetzung auch einen Stab von Fans, die kaum eines der Konzerte im Bietigheimer Kronensaal ausfallen lassen.
Besonders nach der Pandemie wird das Angebot des Bietigheimer Streicherensembles dankbar angenommen. Jedem dieser Konzerte der Süddeutschen Kammersinfonie schickt Flötistin Christiane Dollinger eine kleine Einführung voraus, diesmal flimmert diese über die Leinwand. Sie ist mit ihrer Begabtenklasse der Musikschule bei einem Probenwochenende.
Programme von der Stange gibt es bei der Bietigheimer Kammersinfonie nicht, sondern „einzigartige Designerstücke“ wie das seltene Fragment eines C-Dur- Violinkonzerts von Beethoven. Drei Werke für Violine solo sorgen dafür, dass sich im ersten Teil der Geigenhimmel öffnet und die Zuhörer den holländischen Virtuosen in jeder Facette kennenlernen. Er wird gefeiert mit minutenlangem Applaus.
Programme von der Stange gibt es bei der Bietigheimer Kammersinfonie nicht, sondern „einzigartige Designerstücke“ wie das seltene Fragment eines C-Dur- Violinkonzerts von Beethoven. Drei Werke für Violine solo sorgen dafür, dass sich im ersten Teil der Geigenhimmel öffnet und die Zuhörer den holländischen Virtuosen in jeder Facette kennenlernen. Er wird gefeiert mit minutenlangem Applaus.
Im zweiten Teil nimmt Tjeerd Top als Konzertmeister bei den ersten Geigen Platz. Das Orchester setzt den „Weinbergzyklus“ fort, den es 2022 schon gestartet hat. Es geht dem Leiter und Gründer der Süddeutschen Kammersinfonie, Peter Wallinger, darum, dass der erst 1996 gestorbene sowjetische Komponist polnischer Herkunft Mieczysław Weinberg nicht in Vergessenheit gerät. Mit der Aufführung seiner Werke soll er nach seinem Tod ins Licht der Öffentlichkeit gestellt werden.
In seinem Werk reizt Weinberg Extreme aus, und stellt lange homogene Passagen direkt neben Kampfesszenen im zweiten Satz. Auch in der Dynamik geht der 1919 geborene Komponist extreme Wege und kreiert viele leise Passagen, die an der Hörgrenze liegen im sich auflösenden tonalen System. Weinberg ist kein Schönberg. Er lässt Dissonanzen pointiert einfließen und erspart seinem Publikum bewusst schrille Schräglagen.
Am Ende tobt minutenlang der Applaus, und das Kammerorchester zaubert noch einmal die Polonaise von Schubert heraus. Einfach deshalb, weil man selten die Geige als Solistin in einem tänzerischen Satz, einer Polonaise hört.
Autorin: Susanne Yvette Walter
weniger15.05.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Vom Gedanken hin zum Gefühl
mehr
Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim und Tjeerd Top im Kronenzentrum

BIETIGHEIM-BBISSINGEN. Traditionell feiert das Frühjahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) im Kronenzentrum seine Premiere, anderntags wird das Programm im Uhlandbau in Mühlacker wiederholt und aufgezeichnet. Wie bereits 2022 wird das Konzert komplett von Simon Wallinger dirigiert, diesmal allerdings vor allem, weil sein Vater Peter Wallinger, der die SKB 1984 gegründet hat, durch die nahezu zeitgleich stattfindenden Schulkonzerte gebunden war.
Tjeerd Top ist für Freunde der SKB kein Unbekannter, bereits mehrfach hat der erste Konzertmeister des Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam mit dem renommierten Klangkörper zusammengearbeitet. Genau genommen hat er den Anstoß zu diesem Programm gegeben, indem er vor zwei Jahren Mieczyslaw Weinbergs „Concertino für Violine und Streichorchester" (Op. 42) einbrachte. Daraus ist der Plan entstanden, alle vier Kammersinfonien des polnischen Komponisten und Schostakowitsch-Weggefährten aufzuführen. Den Auftakt des Weinberg-Zyklus bildete nun die Kammersinfonie Nr. 3 (Op. 151) von 1991, deren vier Sätze nach der Pause zu Gehör kamen.
Angeregt durch deren in Teilen spätromantische Klangsprache hat Simon Wallinger für die erste Hälfte eine Art Gegenpol konzipiert, der den Beginn der Romantik in den Fokus rückt. Trotz seines ungeklärten Entstehungszusammenhangs ist das Fragment gebliebene „Violinkonzert C-Dur" (WoO 5) von Ludwig van Beethoven, vermutlich zwischen 1790 und 1792 entstanden, alles andere als eine Fingerübung: In seiner dramatischen, von vielen Generalpausen zerklüfteten Entwicklung, den Dialogen mit dem Orchester, insbesondere mit den Bläsern, ist bereits der komplette Beethoven voll ausgeprägt erkennbar. Top spielt die Vervollständigung der 259 überlieferten Takte durch Josef Hellmesberger (1879) auf einer Stradivari von 1713, virtuos und inspiriert in einem ungemein schlanken, honigtaufarben singend hellen Instrumentalklang.
Wallinger sucht nicht die große Geste, ist eher ein Mann kleinteiliger Präzision und bettet Tops Kantilenen behutsam wie eine Singstimme, wobei er dem Ensembleklang der SKB eine geradezu sinfonische Tiefe entlockt. Als langsamer „Mittelsatz" folgt Beethovens „Romanze F Dur" (Op.50) - klar, dass eine solche trotz aller gebotenen zärtlichen Poesie bei Beethoven nicht ohne Pathos abgeht. In Sachen emotionaler Affirmation und Gemütsbewegung steht der Titan der Wiener Klassik hier mit einem Bein eben schon in der Romantik, die - aus Gedanken wer den Gefühle - mit Franz Schuberts „Polonaise B-Dur" (D 580) dann schon fast erreicht ist. Für den Beifall bedankt sich Top mit einem Wiegenlied der Red Hot Chili Peppers, "Porcelain" verblüfft durch mit der Griffhand ausgeführte Pizzicati.
Für Weinbergs dritte Kammersinfonie teilt Top sich das erste Pult der ersten Geigen mit Swantje Asche-Tauscher, Wallingers Interpretation dieser wundervoll introvertierten, wie durch das 20. Jahrhundert hindurchgegangenen Musik ist höchst aufmerksam gegenüber ihrer Fragilität, auf der sprichwörtlichen Stuhlkante musiziert das expressive Allegro molto. Bravos für Wallinger, Top und die SKB im leider nur mäßig besuchten Kronensaal. Diesem vorzüglichen Konzert wären weit mehr als die anwesenden 120 Besucher zu wünschen gewesen.
Autor: Harry Schmidt
weniger12.05.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Auf der Schwelle zur Romantik
mehr
Am Wochenende stehen die traditionellen Frühjahrskonzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim an. Erneut liegt die Leitung komplett in den Händen von Simon Wallinger. Ein direktes Signal in Sachen Stabübergabe sei dies aber noch nicht, heißt es.
BIETIGHEIM/MÜHLACKER. Bereits zum zweiten Mal liegt die Leitung der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) komplett in Händen von Simon Wallinger: Während das beim Frühjahrskonzert 2022 noch dem zufälligen Umstand geschuldet war, dass Orchestergründer Peter Wallinger vor dem Konzertwochenende erkrankt war und der junge Musiker kurzfristig auch das Dirigat für den Programmteil seines Vaters übernommen hatte, machten die in diesem Jahr nahezu zeitgleich stattfindenden Schülerkonzerte in Bietigheim und Mühlacker es naheliegend, für die am Wochenende ebenda anstehen den Frühjahrskonzerte 2023 von Beginn an mit Simon Wallinger am Pult zu planen. Mit einer Stabübergabe sei dies in des (noch) nicht gleichzusetzen, heißt es von Wallinger senior und junior gleichermaßen: Peter Wallinger spricht von einer "Übergangszeit", Simon Wallinger davon, „Erfahrungen zu sammeln und Perspektiven zu entwickeln". Eine direkte Botschaft in Sachen Stabübergabe verbinde sich damit jedenfalls noch nicht.
Ausgangspunkt des Programms war der Wunsch, alle vier Kammersinfonien von Mieczyslaw Weinberg mit der SKB aufzuführen, die 1991 veröffentlichte Kammersinfonie Nr. 3 (Op.151) zählt zum Spätwerk des polnischen Komponisten, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1939 über Minsk und Taschkent nach Moskau emigriert ist, wo er ein enger Weggefährte Schostakowitschs wurde, und markiert nun den Auftakt zum Weinberg-Zyklus der SKB. Bereits vor zwei Jahren hatte man dessen "Concertino für Violine und Streichorchester" (Op.42) auf den Spielplan gesetzt, seinerzeit auf Initiative des für Vivaldis „Violinkonzert e-Moll" (RV 278) eingeladenen Solisten Tjeerd Top. „Für mich ist Weinberg als Komponist eine wahnsinnige Entdeckung gewesen", so Simon Wallinger, „ein völlig unterschätztes Werk, das neben Mahler, auch neben Bruckner bestehen kann. Was mich an den Kammersinfonien fasziniert, ist, dass man am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch tonal komponieren kann und damit wirklich überzeugt." Ein weiteres Momentum für die Konzeption eines Weinberg-Zyklus war das 100-jährige Bestehen des von der jüdischen Familie Emrich gestifteten, von der SKB regelmäßig bespielten Uhlandbaus in Mühlacker, das 2021 gefeiert wurde.
"Die riesengroßen Bögen, die Weinberg schafft, nehmen manchmal schon fast sinfonische Dimensionen an - das ist auch für mich und die Musiker eine Herausforderung." Beim Erarbeiten seiner Interpretation habe er durchaus auch Aufnahmen wie die vorzügliche von Gidon Kremer für ECM studiert, schlussendlich gelte es dann aber, sich auch wieder davon zu lösen, so Wallinger junior. Während Weinbergs dritte Kammersinfonie nach der Pause erklingt, wirkt der erste Teil des Programms heterogener. Lediglich als Fragment erhalten ist Beethovens „Violinkonzert C-Dur" (WoO 5), gespielt wird die Vervollständigung von Josef Hellmesberger (1879). Darauf folgen Beethovens „Romanze F-Dur" (Op. 50) und die „Polonaise B-Dur" (D 580) von Franz Schubert. Im Wechsel von schneller und langsamer Bewegung entspricht die Zusammenstellung ihrerseits der Satzfolge eines Concertos.
Entstanden sind die drei Werke in relativer zeitlicher Nähe zueinander, an der Schwelle von der Wiener Klassik zur Romantik. Insofern bewege man sich mit dem Frühjahrskonzert vom Beginn dieser Epoche bis zu ihren letzten Ausläufern in der spätromantischen Klangsprache Weinbergs, so Wallinger. Als Solist im ersten Teil wird erneut Tjeerd Top mit seiner Stradivarius aus dem Jahre 1713 zu hören sein, im zweiten wird der erste Konzertmeister des Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam sich das erste Pult mit Swantje Asche-Tauscher teilen.
Autor: Harry Schmidt
weniger17.01.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
„Berühmte Arien, entfesseltes Cello“
mehr
Neujahrskonzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mit Nils Wanderer

MÜHLACKER. Neben Bietigheim Bissingen und Murr kommt traditionell Mühlacker in den Genuss eines SKB-Neujahrskonzerts. Seit 2004 bereichert Orchesterleiter Peter Wallinger dort mit seiner Initiative "Mühlacker Concerto" das Kulturleben der Großen Kreisstadt im Enzkreis. Der Uhlandbau könnte kaum besser besucht sein: Keiner der 200 Plätze im Saal bleibt unbesetzt, auf der Empore haben sich weitere Musikliebhaber verteilt. Vergangenheit und Zukunft überschneiden sich, der Blick geht zurück wie nach vorn: Das ist das janusköpfige Profil der Neujahrszeit, der Jahreswechsel als Gegenwart par excellence gewissermaßen - "... es wird einmal" hat Wallinger sein diesjähriges Programm überschrieben.
Das überspannt einen Bogen von rund drei Jahrhunderten und reicht von der Renaissance über das Barock bis in die Moderne. Claudio Monteverdi steht am Übergang der beiden erstgenannten Epochen, seine "Favola in Musica" namens "L'Orfeo", uraufgeführt 1607 am Hof des Herzogs von Mantua, gilt als eine der ältesten Opern überhaupt und markiert (mit "La Daphne" und "Euridice" von Jacopo Peri) die Geburtsstunde der Gattung. Text und Musik stehen hier gleichwertig nebeneinander - ein Konzept, das Wallinger auf seine Neujahrskonzerte übertragen hat. Wieder ist der Berliner Schauspieler Johann-Michael Schneider mit von der Partie und trägt durch pointierten Vortrag poetischer Texte zum positiven Gesamteindruck der Matinee bei.
Und so erklingen zwischen der einleitenden "Toccata" mit der Fanfare der Gonzaga-Familie und dem ersten "Ritornell", das den Auftritt der Musik höchstpersönlich ankündigt, kurze Verse des bengalischen Literaturnobelpreisträgers Rabindranath Tagore. Insbesondere die „Sinfonia" aus dem 5. Akt geht mit schmerzlichem Melos unter die Haut. Ähnlich, wenn auch ohne Zwischentexte, verfährt Wallinger mit Henry Purcells Semi-Oper „The Fairy-Queen" (1692) und verzichtet auf Singstimmen, um stattdessen Instrumentalmusikteile zu einer kurzen Suite zu verbinden.
Ensemble hat Luft nach oben
Als Ausgleich für das Fehlen von Arien und Chören des auf Shakespeares "Sommernachtstraum" beruhenden Librettos darf Schneider zuvor als Puck durch den Mittelgang geistern. Schwungvoll und präzise animiert Wallinger seine SKB, differenziert in Zeichen- und Körpersprache hält der 72-Jährige alle Fäden in der Hand. Viele neue Gesichter sind unter den 13 Musikerinnen und Musikern auszumachen, überaus präsent wirkt Konzertmeisterin Rebecca Raimondi, doch in Sachen Ensembleklang bleibt etwas Luft nach oben: Es mangelt an Resonanz und Blending, die Einzelstimmen schließen sich noch nicht zum kammersinfonischen Chor zusammen.
Mit Nils Wanderer ist das Neujahrskonzert dann tatsächlich in der Oper angekommen: Einem silberhell überfangenen Sich-Verströmen gleicht die Stimme des Countertenors in Antonio Vivaldis "Sovente il Sole" (aus der Pasticcio-Serenata "Andromeda liberata", 1726). Ganz zurückgenommen und verinnerlicht gestaltet ist dann Purcells "When I am laid in earth" aus „Dido and Aeneas" (1688/1689) - die schönste, die traurigste Arie der Musikgeschichte wirkt unweigerlich berührend. Dass mit Händels "Lascia ch'io pianga" (aus "Rinaldo", 1711) als Zugabe eine weitere berühmte Barockarie folgt, ist da fast schon zu viel des Guten.
Nach der Pause verblüfft, zu welch entfesselter Raserei der vermeintlich so gemütliche „Papa Haydn" Anlass geben kann: Was Arthur Cambreling in dessen erstem Cello-Konzert veranstaltet, mutet wie ein expressives Klangfeuerwerk an. Mit der Streichorchesterfassung von Béla Bartóks "Rumänischen Volkstänzen" (1917) schließt sich der Kreis zu den Suiten des ersten Teils. Euphorischer Beifall für Wallinger, die SKB und die Solisten.
Autor: Harry Schmidt
weniger17.01.2023, Mühlacker Tagblatt
Publikum feiert Künstler wie Popstars
mehr
Ein märchenhaftes Neujahrskonzert im Uhlandbau in Mühlacker: Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim unter der Leitung von Peter Wallinger begeistert erneut mit einem höchst fantasievollen Programm und herausragenden Solisten.

Mühlacker. Der Andrang zum diesjährigen Neujahrskonzert der Reihe „Mühlacker Concerto“ war – trotz des nasskalten Wetters – enorm. Dies ist aus mindestens zwei Gründen allerdings nicht weiter verwunderlich: Zum einen sind die Konzerte Anfang Januar längst im kulturellen Gedächtnis der Stadt verankert, und zum anderen wussten die Zuhörerinnen und Zuhörer, dass Peter Wallinger immer wieder für pfiffige Ideen und musikalische Überraschungen gut ist.
Gelungen war die Matinee ebenfalls in mehrfacher Hinsicht: Das Programm „...es wird einmal“ beinhaltete traumhaft schöne Musik aus Fantasieopern wie „Orfeo“ von Claudio Monteverdi, „The Fairy Queen“ und „Dido and Eneas“ von Henry Purcell und „Andromeda liberata“ von Antonio Vivaldi.
Die Ausführenden, die 13-köpfige Kammersinfonie, der umwerfende Altus/Countertenor Nils Wanderer und der großartige Cellist Arthur Cambreling, waren so glänzend disponiert und musizierten derart brillant, dass sie vom Publikum wie Popstars gefeiert wurden. Wer die Konzerte Wallingers schon eine Weile verfolgt, kennt den Sprecher Johann-Michael Schneider bereits, der in diesem Format schon öfter zu erleben war. Ihm oblag am Sonntag die angenehme und mit großem Erfolg gemeisterte Aufgabe, in das rätselhafte Motto des Konzerts „...es wird einmal“ einzuführen und zwischen den sechs gespielten musikalischen Werken sinnfällige Lyrik einzuflechten.
Die Musik und die ausgewählten Texte widmeten sich – so der gemeinsame Nenner – dem Mysterium der Natur und der Jahreszeiten und rückten Fantasiegeschichten und märchenhafte Musik in einen metaphorischen Zeithorizont des Seins, Vergehens und Werdens. Aus der Formel „...es war einmal“ wurde deshalb ein „...es wird einmal“, weil es ewige Muster sind, die der Musik, der Poesie und der Geschichte zugrunde liegen und den Fortlauf der Zeit gleichsam aufheben.
Die musikalisch-literarische Programmfolge begann mit Tänzen aus Monteverdis „L‘Orfeo“, der ersten Oper der Musikgeschichte überhaupt, und aus Purcells „The Fairy Queen“ nach Shakespeares Sommernachtstraum. Die Süddeutsche Kammersinfonie, diesmal als reiner Streicherapparat, spielte verheißungsvoll, mit einem wunderbar austarierten Klang. Die 13 Streicherstimmen gingen nicht in nebulösen Klangsümpfen unter, sondern gewährten einen glasklaren Durchblick. Peter Wallinger wagte extreme, besonders eindrucksvolle Pianostellen.
Wer den Altus/Countertenor Nils Wanderer auf der Bühne live erlebt hat, wird dies so schnell nicht wieder vergessen. Nicht nur seine Stimme ist einzigartig und technisch makellos, seine gesamte Bühnenpräsenz ist – fast möchte man sagen – magisch. Er versinkt geradezu in einer Rolle und wird eins mit ihr und der Musik. In berauschender Schönheit erklang der wundervolle Dialog zwischen der Solovioline (brillant gespielt von der Konzertmeisterin Rebecca Raimondi) und dem vielfach ausgezeichneten Nils Wanderer in Vivaldis „Sovente il Sole“. Auch der Todesgesang der Dido aus Purcells Oper gelang so großartig, dass Wanderer dem Publikum, das völlig aus dem Häuschen geraten war, Händels „Lascia ch’io pianga“ zugeben musste. Doch das war am Sonntag noch nicht alles. Als weitere handfeste Überraschung folgte nach der Pause der französische Cellist Arthur Cambreling, der einer Familie mit weltweit angesehenen Musikern entstammt, mit Joseph Haydns Cellokonzert in C-Dur. Der junge, ebenfalls vielfach ausgezeichnete Cellist spielte das dreisätzige Opus mit virtuos-anpackendem Zugriff, technisch tadellos und mit einer herrlichen Tongebung. Glänzende Solokadenzen mit gewagten Flageolett-Tönen ließen das Publikum den Atem anhalten. Begeisterte Bravorufe erhielt auch er. Zum Schluss gab es noch die rasanten Rumänischen Volkstänze von Béla Bartók. Nicht nur die Natur war am Ende der Matinee glücklich wie in dem Gedicht von Rainer Maria Rilke „Natur ist glücklich“ – wunderbar rezitiert von Johann-Michael Schneider –, auch das Publikum war es.
Autor: Dr. Dietmar Bastian
weniger16.01.2023, Pforzheimer Zeitung
Musikalischer Juwelen-Glanz
mehr
• Herausragende Solisten begeistern im Uhlandbau bei „Mühlacker Concerto".
• Fein aufeinander abgestimmtes Programm in ausverkauftem Saal.

FOTOS: PETER HENNRICH
Peter Wallingers Neujahrskonzerte im Mühlacker Uhlandbau sind anders. Da gibt es weder Wiener Walzer-Seligkeit noch pompöse, von donnerndem Schlagwerk begleitete Bläserfanfaren. Stattdessen erfreut ein fein aufeinander abgestimmtes literarisch-musikali sches Programm, das diesmal besonderen musikalischen Glanz ausstrahlte. Denn mit Nils Wanderer war ein Ausnahmesänger zu Gast: ein Countertenor, der ganz zart zu singen und in Sopran-Höhen aufzusteigen vermag, aber dennoch eine männlich kraftvolle, durchdringende Stimme besitzt.

Stimme leuchtete in Spitzentönen.
Zuerst interpretierte Wanderer die Arie „Sovente, il sole risplende in cielo" (häufig erstrahlt die Sonne am Himmel) aus dem Pasticcio „Andromeda liberata" von Antonio Vivaldi, das die Hochzeit der befreiten Andromeda mit Perseus feiert. Danach folgte der Klagegesang „When I am laid in earth" aus Henry Purcells Oper „Dido and Eneas", mit dem die vom trojanischen Helden Eneas verlassene, in Verzweiflung sterbende Königin Dido ihr Lamento anstimmt.
Das faszinierende Timbre der falsettierenden, staunenswert beweglichen Männerstimme leuchtete in Spitzentönen , verzierte Silben und Wörter mit schönsten Koloratur-Melismen, und bot mit weich veredelter Vokalität sehnsüchtige Melancholie. Oder sank im langgezogenen Ton einer illusionslosen Zärtlichkeit in tief reichende Trauer hinab. Exzellent getragen und grundiert wurden die vokalen Klangjuwelen von den Streichern der sueddeutschen kammersinfonie unter Peter Wallingers Leitung - wobei sich die neue Konzertmeisterin Rebecca Raimondi in der Vivaldi-Arie solistisch mit herrlich echohaft intonierender Violinstimme auszeich nete. Nicht nur Wanderers Zugabe, die populäre Arie „Lascia ch'io pianga" (Lass mich weinen!) aus Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo" wurde vom atemlos lauschenden Publikum mit jubelndem Beifall belohnt.
Aber das war im ausverkauften Uhlandbau-Saal noch lange nicht alles. Einleitend vom Orchester gebotene, rhythmisch kunstvoll ausgefeilte barocke Tanzsätze von Claudia Monteverdi (aus „Orfeo") und Henry Purcell (aus „The Fairy Queen") wurden von dem rezitierenden und heiter schauspielernden Vortragskünstler Johann-Michael Schneider mit lyrischen Versen sinnfällig kommentiert. Poesievolle Texte von Rabindranath Tagore und William Shakespeare (aus „Ein Sommernachtstraum") waren vor und zwischen den Konzertstücken zu hören, auch Rainer Maria Rilkes Gedicht „Natur ist glücklich" und der lustige Reim-Text „Wenn's Winter wird" von Christian Morgenstern.

Der zweite Höhepunkt in Peter Wallingers Neujahrs-Konzertmatinee folgte nach der Pause. Der jugendlich frisch aufspielende Cellist Arthur Cambreling wartete in Joseph Haydn's Violoncello- Konzert C-Dur (Hob VIIb:l) mit sensationeller Virtuosität in den abenteuerlich rasanten Spiccato-Skalen der Ecksätze auf. Er musizierte nicht nur mit brillant lockerer Fingerfertigkeit und technisch perfekter Bogenführung, sondern auch mit einer von innen herausdrängenden, gespannten Expressivität. Die fantasievolle eigene Kadenz zeugte von musikalischer Kopfarbeit, die Wiedergabe des langsamen Mittelsatzes von der Fähigkeit, Melodielinien kantilen auszusingen.
Zu preisen sind schließlich das Orchester-Ensemble und sein Dirigent, die mit den „Rumänischen Tänzen" von Bela Bartók für einen folkloristisch farbintensiven Konzertabschluss sorgten.
Im Frühjahr stehen in der „Mühlacker Concerto"-Reihe im Uhlandbau auf dem Programm: „Rossinis Notenküche - ein Komponist tischt auf: Musiktheaterstück der Pyrmonter Theater Companie für Kinder der Klassen 1bis 5 am 11. und 12. Mai jeweils um 9 und 10.30 Uhr, sowie das Frühjahrskonzert mit Werken von Weinberg, Schubert und Beethoven unter der Leitung von Peter und Simon Wallinger (Solist: Tjeerd Top, Violine) am 14. Mai um 17 Uhr.
weniger16.01.2023, Marbacher Zeitung
Starke Solisten, souveräne Streicher
mehr
Es gab nicht nur klassische Musik: Beim traditionellen Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim wurden auch Texte von Shakespeare bis Rilke rezitiert. Es war das erste Konzert nach der Corona-Pause.

Zwei Mal hatte es wegen Corona ausfallen müssen, jetzt fand es endlich wieder statt: das Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim in Murr. Dreizehn Streicherinnen und Streicher unter der bewährten Leitung von Peter Wallinger setzten eine beliebte, nun schon mehr als 15-jährige Tradition fort. Waltraut Menzel vom Kulturamt würdigte zur Eröffnung die stets „innovativen und anregenden Konzertprogramme“ des Ensembles.
Dieser Anspruch wurde auch diesmal wieder eingelöst. Das gewählte Motto – „…es wird einmal“ – schien zwar zunächst etwas rätselhaft. Doch der Schauspieler Johann-Michael Schneider, der die Stücke mit kurzen Texten begleitete, gab Hinweise. In all seinen Rezitationen, verfasst von Shakespeare, Morgenstern, Rilke und Tagore, ginge es um den Menschen in der Natur. Die Natur wiederum sei, wie die Musik, beständig im Werden, so würde aus dem „Es war einmal“ und dem „Es ist“ das „Es wird einmal“. Schneider betonte, Offenheit sei wichtig in einer Zeit der Katastrophen und Krisen.
Ausgesprochen schöne Musik spielte dann das Ensemble aus Bietigheim. Im ersten Teil entführten die Künstlerinnen und Künstler ihre Zuhörer in die Welt der barocken Opern. Den Auftakt bildeten Sätze aus dem „Orfeo“ von Claudio Monteverdi, lebhafte und schwungvolle Melodien, in denen die hellen, fröhlichen Stimmen von Violinen und Bratschen mit den tiefen Tönen von Celli und Kontrabass reizvoll zusammenwirkten. Schnell und dynamisch, dabei immer souverän und mit großer Spielfreude vorgetragen auch „The Fairy Queen“ von Henri Purcell nach Shakespeares bekanntem Sommernachtstraum.
Opernmusik wurde an diesem Abend nicht nur gespielt, sondern auch gesungen. Der Countertenor Nils Wanderer stimmte, begleitet vom Orchester, Stücke aus „Andromeda liberata“ von Antonio Vivaldi und „Dido and Eneas“ von Henri Purcell an. Ein Countertenor zeichnete sich dadurch aus, dass er seine männliche Stimme im ungewöhnlichen Bereich von Alt erklingen lassen konnte, also in einer hohen Stimmlage unterwegs war.
Sehr eindrücklich gelang das Wanderer, als er den Part der sterbenden karthagischen Königin Dido sang, die verzweifelte Klage einer verratenen Liebe, getragen vom melancholischen Klangteppich der Streicher. Das Publikum war berührt, und Wanderer, eine imposante, sympathische Erscheinung, gab eine gefühlvolle Zugabe, „Lascia chio pianga“, etwa: Lass mich mein Schicksal beweinen, aus Händels Oper „Rinaldo“. Wanderer, ein gebürtiger Ludwigsburger, ist erster Preisträger des Bundeswettbewerbes Gesang 2022, er gewann auch als erster Deutscher einen 2. Preis bei Operalia 2022, dem wichtigsten internationalen Wettbewerb für Oper.
Ein weiterer Höhepunkt leitete den zweiten Teil des Konzerts ein. Im Violoncello-Konzert C-Dur von Joseph Haydn zeigte Arthur Cambreling als Solist sein ganzes Können. Der Franzose spielt seit seinem vierten Lebensjahr Violoncello, und er ist mit diesem vielseitigen Instrument geradezu verwachsen.
Der junge, schalkhaft wirkende Künstler ging völlig in seiner Musik auf. Mit Hingabe entlockte er dem Violoncello ebenso nachdenkliche wie forsche, dominante Töne, rief sogar kurze Klanggewitter hervor. Über ein abwechslungsreiches Moderato und ein getragenes Adagio spielte sich das Ensemble zu einem furiosen Allegro molto, in dem Cambreling die Melodie nicht nur aufnahm, sondern verstärkte, variierte, die ganze Streicherrunde anregte, seinem vibrierenden Bogen zu folgen. Sein Violoncello war buchstäblich die erste Stimme, machte Tempo, unterstrich, setzte akustische Ausrufezeichen. Begeisterter, stürmischer Beifall belohnte die starke Leistung des Solisten und des Orchesters.
Für einen schwungvollen Ausklang sorgten die Rumänischen Volkstänze von Bela Bartok. Die Mischung aus schönen rhythmischen Tänzen, Märschen und auch melancholischen, fast an jiddische Kompositionen erinnernden Stücken waren noch einmal ein Spiegelbild des gesamten Abends: gut anzuhören und höchst abwechslungsreich. Die Zuhörerinnen und Zuhörer dürften sich weitgehend einig gewesen sein: Das war die gelungene Fortsetzung einer Tradition.
Autor: Arno Bäucker
weniger16.01.2023, Pforzheimer Kurier
Musik mit Gansehautfeeling
mehr
Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim überzeugt in Mühlacker beim Neujahrskonzert

Erneut ist Mühlackers Uhlandbau 'Treffpunkt zahlreicher Musikfreunde gewesen, die sich das Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim nicht entgehen lassen wollten. Am Pult stand, nunmehr seit 39 Jahren, der Gründer dieses Orchesters, das nach fast vier Jahrzehnten für sich in Anspruch nimmt, eine besondere Art des Musizierens und Konzentrierens verinnerlicht zu haben. Musiker und Musikerinnen beeindrucken einerseits als Projektorchester durch ihr professionelles Auftreten und werkgerechte Interpretationen. Doch darüber hinaus erfreuen sie ihr Publikum immer wieder durch ihr herzerfrischendes Spiel, das sie mit so viel Freude zelebrieren, dass der Funke schnell in die Zuhörerreihen überspringt.
„… es wird einmal“ war das Programmmotto. Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart hatte Wallinger Werke verschiedenster Genres ausgewählt und so eine höchst abwechslungsreiche Konzertstunde gestaltet. Mit vier Sätzen aus Monteverdis ,,Orfeo“ und fünf aus Henry Purcells ,,The Fairy-Queen“ gelang dem Orchester ein klangprächtiger Auftakt. Doch einer redete dazwischen: Schauspieler und Theatermusiker Johann-Michael Schneider sorgte für verbalen Schmuck und rezitierte zwischen den einzelnen Auftritten stimmige Texte von Tagore, Shakespeare, Rilke und Morgenstern. ,,Alle Texte handeln von der Natur und dem Menschen in der Natur und seinem Erleben darin, ist er doch selbst ein Stück Natur“, sagte er. Besinnliche und nachdenklich stimmende Verse trug er vor, aber auch Heiteres, über das geschmunzelt und gelacht wurde.
Die Auftritte von Countertenor Nils Wanderer und Cellist Arthur Cambreling markierten zwei Höhepunkte in dem knapp zweistündigen Konzert. Wanderer brillierte mit seiner Interpretation ,,So- vente il Sole“ aus Vivaldis (1678—1741) Oper ,,Andromeda liberata“ und mit der Arie ,,When I Am Laid In Earth“ aus Purcells ,,Dido und Eneas“.
Die Zuhörer lauschten ergriffen. Besonders das fast schwermütige ,,When I am Laid In Earth“ ging unter die Haut und gar Gänsehautfeeling bescherte Wanderer mit seiner ,,Seelenarie ,,Lascia chi’io planga“ aus Händels Rinaldo. Als begehrter Countertenor ist er auf vielen Bühnen der Welt zu Hause. ,,Meine Heimat aber wird immer hier in Württemberg sein“ , sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion. Und noch etwas verriet er von seinen Zukunftsplänen. Neben seinen Tätigkeiten als Opernsänger, Schauspieler, Choreograph und Regisseur werde er ein eigenes Festival ,,Wanderer zwischen den Welten“ gründen. Seine Fans dürfen also gespannt sein.
Großen Beifall erhielt auch Arthur Cambreling, der mit der Wiedergabe von Haydns Violoncello-Konzert C-Dur sein Instrument singen ließ. Mit viel Vehemenz und Furore sprang der Bogen über die Saiten, aber gleichzeitig ließ er auch mit viel Herzblut und tiefem Empfinden, wie sein lebhaftes Mienenspiel verriet, Klangbogen lebendig werden.
Mit sechs ,,Rumänischen Tänzen“ von Bartók (1881—1945), feinsinnig intoniert, still in sich gekehrt oder mit so viel Elan, dass Stillsitzen schwerfiel, verabschiedete sich die Kammersinfonie und Dirigent Wallinger. Das Publikum feierte alle Akteure mit kaum enden wollendem jubelndem Beifall und dankte so für dieses Konzert.
Autorin: Eva Filiz
weniger13.01.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
„Ich gebe immer tausend Prozent“
mehr
Der Ingersheimer Countertenor Nils Wanderer ist international auf großen Bühnen zu Hause. Jetzt wirkt der 29-Jährige an den Neujahrskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mit.

KILLARNEY/BIETIGHEIM-BISSINGEN. Der in Ludwigsburg geborene Countertenor Nils Wanderer bat als Stipendiat des Barbican Centres prägende Jahre in London verbracht, wo er mit dem London Symphony Orchestra unter Leitung von Dirigenten wie Jordi Savall und Kent Nagano aufgetreten ist. Im vergangenen Jahr wurde der in Bietigheim-Bissingen aufgewachsene Sänger mit dem ersten Preis für die beste Barockarie beim Bundeswettbewerb Gesang und dem zweiten Preis bei Placido Domingos „Operalia", dem größten Wettbewerb dieser Art, geehrt. Nun kehrt Wanderer in seine Heimat zurück und wird 2023 ein eigenes Festival aus der Taufe heben.
Zuvor ist er an diesem Wochenende neben dem jungen französischen Cellisten Arthur Cambreling als Solist in den Neujahrskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) zu hören. Wir erreichen den 29-Jährigen im südirischen Killarney - mit ein wenig Verspätung: Ein vom Sturm geknickter Baum hatte die Stromversorgung des Hauses, das er mit Freunden bewohnt, gekappt.
Guten Tag, Herr Wanderer. Konnten Sie die Sturmschäden beseitigen?
NILS WANDERER: Wir haben es vor einer halben Stunde hinbekommen: Jetzt ist der Akku wieder geladen und ich bin einsatzbereit! (lacht)
Killarney, London, Weimar, Tübingen, Ingersheim - hinsichtlich Ihres Lebensmittelpunkts kursieren unterschiedliche Informationen ...
Nachdem ich Gesang an der Hochschule für Musik in Weimar in der Klasse von Prof. Siegfried Gohritz studiert hatte, habe ich in London gelebt und den Opera Course der Guildhall School of Music & Drama absolviert, ein zweijähriges Exzellenzprogramm für jeweils 24 postgraduierte Sängerinnen und Sänger. Irland ist eine der Stationen, an denen ich regelmäßig bin: Ich gebe hier eine Meisterklasse und singe an der Nationaloper. Deshalb pendele ich oft zwischen Dublin und Kerry, wo ich mit Freunden in einem Haus wohne. Zuvor hatte ich einen Erstwohnsitz in Tübingen, seit einem halben Jahr bin ich offiziell Ingersheimer, weil meine Eltern und Großeltern da leben, aber ich bin eigentlich immer unterwegs, vor allem momentan.
Am Wochenende werden Sie als Solist an den Neujahrskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mitwirken. Wie ist es dazu gekommen?
Peter Wallinger war mein Musiklehrer am Ellental Gymnasium, bevor ich ans Seminar Maulbronn gewechselt bin. Wir haben viele gemeinsame Freunde und Kollegen. Als der Kontakt nach mehreren Jahren wieder zustande kam, war mein erster Impuls: Ich bin so selten zu Hause, es wäre wirklich schön, auch in der Heimat wieder einmal auftreten zu können. Als Peter mir vor Weihnachten ein E-Mail schrieb, ob ich Lust hätte, an den Neujahrskonzerten mitzuwirken, traf sich das perfekt mit dem Wunsch, sich auch hier künstlerisch präsentieren zu dürfen. Sowohl im Uhlandbau als auch im Kronenzentrum stand ich schon auf der Bühne, im Kronensaal bereits in meiner Kindheit: Mit fünf Jahren war ich Solist im Knabenchor Capella Vocalis, der in Reutlingen und Besigheim aktiv ist, dazu erinnere ich ein „Sommernachtstraum"-Musical, da war ich vielleicht neun oder zehn. Es ist immer schön, zu den Wurzeln zurückkehren zu dürfen.
Royal Opera House, Teatro Massimo, Berliner Staatsoper - große Bühnen sind Ihnen nicht fremd. Worin besteht der besondere Reiz des kleineren Maßstabs der nun anstehenden Konzerte mit der SKB?
Es sind ganz klar die Menschen. Weil man mit Menschen arbeiten kann und für Menschen singt, die man sehr gut kennt, für ein offenes, persönlich zugewandtes und herzliches Publikum. Natürlich hat beides seinen Reiz - Teatro Massimo oder „kleine" intime Kammermusikbühne -, aber ich gebe immer tausend Prozent, egal, ob es für eine Person oder für tausend Personen ist. Ich freue mich auf diese Konzerte genauso wie auf jedes andere, wenn nicht noch ein bisschen mehr!
Wie Ist das Programm entstanden?
Peter hat sich Vivaldis „Sovente il Sole" aus der Oper „Andromeda liberata" gewünscht, ich Henry Purcells „When I am laid in earth“. Das hat ihn wiederum dazu bewogen, Auszüge aus dessen Semi-Oper „The Fairy Queen" nach Shakespeares „Sommernachtstraum“ hinzuzunehmen, gerahmt von Monteverdi und Bartoks „Rumänischen Volkstänzen". Der Solist in Haydns Violoncello-Konzert C-Dur ist Arthur Cambreling, Johann Michael Schneider wird ausgesuchte Texte rezitieren.
2019 haben Sie bei den Klosterkonzerten Maulbronn „Dido and Aeneas" inszeniert und die Partie der Zauberin sowie den Geist gesungen, nun werden Sie mit „When I am laid in earth" eine der berührendsten Barockarien präsentieren. Worin bestehen die größten Herausforderungen des auch als „Didos Lament“ bekannten Stücks?
Zunächst muss ich den Zusammenhang im Stück verstehen: Wo steht Dido gerade? Was hat sie bis dahin durchgemacht? Und wo möchte sie hin? In ihrem Fall in den Tod. Sängerisch ist es wichtig, Text und Musik schlüssig zu verbinden. Für mich ist diese Arie ein barockes Juwel von einzigartigem Rang: Ich habe sie schon sehr oft gesungen. Vielleicht gibt es gleich schöne Musik, aber bestimmt keine schönere. Worauf es ankommt, ist, nicht zu versuchen, eine Emotion künstlich herzustellen, etwa das traurige noch trauriger, noch emotionaler zu gestalten, sondern die Musik wirklich für sich sprechen zu lassen. Es ist egal, ob ich sie in Istanbul, in Palermo, in Indien, in Kanada singe - sie hat immer die gleiche Wirkung, weil sie so nah an den Menschen ist.
Was steht 2023 sonst noch an?
An der Staatsoper Hannover singe ich in Monteverdis „Orfeo", in der Uraufführung des Musicals „Romeo und Julia" im Theater des Westens die für mich geschriebene Countertenor-Partie des Todesengels. An der Oper Frankfurt werde ich als Tolomeo in Händels „Giulio Cesare" auftreten. Nach einer zehntägigen Meisterklasse in Kerry werde ich auf Kanada und Amerikatour gehen. Und gegen Ende des Jahres wird, wenn alles gut läuft, der erste Teil meines ersten Albums erscheinen. Vor allem möchte ich aber viel mehr in der Heimat machen und die Neujahrskonzerte mit der SKB sind da ein sehr guter Anfang. Noch in diesem Jahr soll mein Festival „Wanderer zwischen den Welten" an den Start gehen, das in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg entsteht.
INFO: Die SKB spielt am 14. Januar um 19.30 Uhr im Bürgersaal im Rathaus Murr, 15. Januar um 11 Uhr im Uhlandbau in Mühlacker und um 17 Uhr in der Kelter in Bietigheim-Bissingen.
Autor: Harry Schmidt
weniger