Sachsenheim Die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ spielte im Lichtenstern-Gymnasium ein vielschichtiges und tiefgründiges Konzert. Von Sandra Bildmann.
Das Live-Erlebnis gewinnt in Zeiten der dauerhaften Verfügbarkeit und Reproduzierbarkeit an Bedeutung. Nicht nur der Klangeindruck unterscheidet sich vom Musikhören über Boxen zuhause: Das Konzert der „sueddeutschen kammersinfonie bietigheim“ unter Dirigent Peter Wallinger am Freitagabend im Foyer des Lichtenstern-Gymnasiums zeigte eindrucksvoll, wie sich durch die Musik Räume öffnen können. Wer sich darauf einlies, konnte sich selbst besser kennen. Das traditionelle Open Air-Sommerkonzert des Orchesters fand in diesem Jahr aufgrund der Bauarbeiten nicht im Schlosshof statt, und war auch wegen der unsicheren Wetterlage nach drinnen verfrachtet worden.
Wuselnde Solisten-Finger
Zum Auftakt spielte das sechzehn-köpfige Ensemble Carl Philipp Emanuel Bachs Sinfonie in A-Dur. Danach wuselten die Finger von Solist Daniel Koschitzki über seine Sopranino-Flöte. In Vivaldis Concerto „Il Giardellino“ konnte der Echo-Klassik-Preisträger sein perfektes Spiel zeigen.
Die Luftzufuhr war fein austariert: nicht zu viel, aber ausreichend, damit der Ton schwingen und klingen konnte. Der Reichtum an Obertönen auf Basis des Präzisen uns sauberen Spiels vervielfachte das Tonvolumen, so dass die Flöte nicht unterging, sondern klar die Chefrolle spielte. Das Orchester grundierte fein. Nach der Pause erntete das Orchester mit den Solisten Andrea Ritter und Daniel Koschitzki (bei der Flöte) sowie Sachiko Kobayashi (Violine) bei Bachs viertem Brandenburgischem Konzert eine Menge Applaus vom begeisterten Publikum, so dass sie die Schlussfuge noch einmal wiederholten.
Mit Nino Rotas „Concerto per Archi“ aus den 1960er Jahren übersprang das Ensemble virtuell über zwei Jahrhunderte Musikgeschichte. Besonders der zweite Satz, das Scherzo, machte richtig Laune – auch weil das Orchester unter Wallinger die verschiedenen Stilistiken und Charaktere der Abschnitte deutlich voneinander abgrenzte. So wirkte das Scherzo tatsächlich wie ein Scherz mit vielen verschiedenen Facetten. Zunächst schien es, als ob die Musik ihren eigenen Kitsch karikiert, als ob sie sich nicht recht entscheiden könne, ob die ihn nachahmen oder sich ihm entgegen stellen soll.
Bezirzender Walzer
Die Musik kam als launisches Kind daher, das betont hässlich sein will, postwendend in eine vorgegaukelte heile Welt abtaucht. Kaum stellte sich der Zuhörer auf einen verdrießlichen, lethargischen Trott ein, bezirzte ihn urplötzlich ein Walzer. Die scharfen Dissonanzen hielten dem nicht stand, mussten sich ergeben. Der Satz endete unvermittelt im Irgendwo. In dieser Welt verschwammen die Grenzen von Ernst, Hohn und Ironie. Da bestand Anschluss zur Realität. Wer sich solchen Assoziationen öffnete, konnte in dem vor Kontrasten strotzenden Werk von Nino Rota auf Selbstfindungs-Tour gehen.
Der Komponist kupferte – wie in zeitgenössischer Methodik durchaus üblich – bei kompositorischen Wegbereitern ab. Auch wenn Rota eher im Filmmusik-Genre zuhause war, hat er die Entwicklung in der „klassischen“ Musik nicht missachtet. Spannungsaufgeladen und unbequem will die Musik im vierten Satz sein, bitte nicht zu gefällig. Wie Filmmusik klingt sein Stück für Streicher nicht, stattdessen mehr wie die musikalische Untermalung einer Lebensgeschichte mit Höhen und Tiefen. Ohne Vorwarnung ist Schluss. Rotas Musik hat das Publikum auf eine Reise mitgenommen und in einer anderen Welt ausgesetzt. Die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ unter Wallinger spielte dieses Spiel hervorragend. Langweilig war das überhaupt nicht. Dieses Live-Erlebnis schuf kreative Freiräume mit einer Relevanz für das eigene Leben.
Sandra Bildmann