Die „sueddeutsche kammersinfonie Bietigheim“ sprengt den Advent mit dem Konzert der anderen Art.

Die mexikanisch-amerikanische Mezzosopranistin Mónica Soto-GIl Salas vor Ihrem Auftritt als „Maria de Buenos Aires“ In der gleichnamigen Komposition von Astor Plazzolla beim Adventskonzert der „sueddeutschen kammersinfonie Bietigheim“ Im Kronenzentrum. Foto: Martin Kalb

Das Adventskonzert der „sueddeutschen kammersinfonie Bietigheim“ im Kronensaal am vergangenen Samstagabend hat ein Alleinstellungsmerkmal wie eine grell leuchtende Blüte auf einer Blumenwiese. Das Ensemble kooperierte mit der Lienzinger Akademie. Simon Wallinger, der künstlerische Leiter, nimmt markante Solisten mit ins Boot, um ein surreal geprägtes markantes Anti-Adventskonzert aufzuführen. Der berühmte Erfinder des Tango Nuevo, Astor Piazzolla, setzte seiner „Maria de Buenos Aires“ damit ein Denkmal. Er gibt dem Mädchen aus den Slums eine Plattform im Adventskonzert der anderen Art.

Das expressionistisch durchdrungene Werk sprengt die üblichen Formen in Wort und Ton. Freie Tonalität macht sich breit. Jedes Instrument gibt es nur einmal auf der Bühne, und alle befinden sich im Dialog miteinander in einer Messe, die keine ist, in einem Werk, bei dem der Sprecher und auch die Maria selbst sich in Wortakrobatik verlustieren und dem Hässlichen und Grässlichen mit Wonne eine Plattform bieten, um zum Nachdenken anzuregen.

Werk passt nicht zum landläufigen Advent

Hier führt das Bandoneon das Re-giment. Der Solist mit schwarzem langem Haar, Leonel Gasso, aus Uruguay befeuert sein Instrument vom Feinsten. Natürlich passt dieses Werk von Astor Piazzolla nicht in die üblichen landläufigen Gedankenströme im Advent. Zu wild, zu frei, zu experimentell, zu provokant zu ketzerisch. Etliche Stühle bleiben leer an diesem Abend. Die, die gekommen sind dürfen sich erst einmal daran gewöhnen, dass hier das freie Assoziieren und das neue Kombinieren von Worten an der Tagesordnung ist – der surrealistische Einschlag ist heute noch genauso erfrischend wie damals.

Die Tangomesse ist ein Unikat und mit nichts in der Literatur vergleichbar. Piazzolla spielt wortgewandt mit seinem größten Schatz, dem Tango. Statt Agnus Dei heißt der letzte Messeteil beim Tango-Nuevo-Schöpfer „Tangurus Dei – An einem Sonntag.“ In der Blütezeit des Surrealismus, 1968, bringt Piazzolla diese Anklage und Liebeserklärung zugleich an den Tango auf den Weg. Maria wird zur Heiligen inmitten ihrer kriminell geprägten Umgebung zwischen Machos und Peinigern, Drogenkartellen und Mördern.

Mónica Soto-Gil Salas, die Mezzosopranistin, füllt ihre Rolle mit Bravour. Als Südamerikanerin kommt ihr Gesang authentisch an. Der leidvolle Blick in die Ferne ist nicht aufgesetzt. Santiago Bürgi, der lyrisch-weiche Tenor, ist ihr ein herrlich ebenbürtiges Pendant. Johann-Michael Schneider mimt den Sprecher, den man in all seinen krassen Wendungen und Beobachtungen zum Geschehen immer versteht, bis in die letzten Reihen hinein.

Wer glaubt, er könnte sich hier zum angenehmen Adventskonzert gemütlich in seinen Sessel kuscheln, irrt. Astor Piazzolla und mit ihm die „sueddeutsche kammersinfonie Bietigheim“ wollen zeigen, wie schwer es all die haben, die nicht im Wohlstand und in der Sicherheit leben. Heftig rüttelt dieses Adventskonzert an gesellschaftlichen Missständen.

Autorin: Susanne Yvette Walter

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