Kammersinfonie Bietigheim brilliert mit Solocellist Mikael Samsonov in historischer Kelter in Ötisheim.
Ötisheim. Das nächtliche Böllern und Korkenknallen ist vorüber, die Neujahrskonzerte mit ihrem vom Radetzkymarsch bekrönten Walzer- und Polkareigen auch. Bei dem diesmal von Texten der Lyrikerin Hilde Domin traditionell literarisch bereicherten, gewissermaßen alternativen Neujahrskonzert, das Peter Wallingers „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ vor begeistertem Publikum in der Historischen Kelter Ötisheim veranstaltete, war ein Cello-Solist angekündigt. Mit dem Auftritt von Mikael Samsonov konnte freilich ein musikalisches Ereignis gefeiert werden.
Cello-Solist Mikael Samsonov begeistert
In seiner Interpretation von Peter Tschaikowskys Rokoko-Variationen (op.33) zog der Solist alle Register der Virtuosität, brillierte mit sinnlich lyrischem Ton, gleitete in heiklen Glissandi zu höchsten Flageolett-Höhen oder musizierte spannungsgeladen und vibratosatt mit sonor samtigem Bass.
In der ersten von insgesamt sieben Veränderungen wurde die Ausgangsmelodie markant vorgestellt. Dann folgte in den durch Orchesterzwischenspiele miteinander verbundenen sechs weiteren Variationen ein technisch atemberaubendes Feuerwerk musikantischer Figurationen – ein artikulatorisch und dynamisch fein differenzierter Luxusklang.
Technische Brillanz und romantischer Zauber
In der dritten Variante spielte Samsonov ausladend romantisch, in der vierten temperamentvoll tänzerisch. In der fünften triumphierte das Solocello mit einer meisterlichen Kadenz. Ähnliches wiederholte sich mit der Aufführung von Tschaikowskys „Nocturne für Violoncello und Orchester“, wobei Samsonov in beiden ohne Dirigent präsentierten Werken auch als leitender Konzertmeister fungierte.
Literarische Reflexion
Mit seiner fabelhaften Streicher-Truppe, in der mehrere neue Gesichter zu sehen waren, interpretierte Peter Wallinger vor der Konzertpause eine aufs Genaueste mit den Domin-Texten abgestimmte Folge meist heiterer Konzertstücke. Energisch der Auftakt zum aufblühenden Moderato in Leoš Janáčeks Suite für Streichorchester. Es folgte ein zartes Adagio ohne die Streicherbässe, ein folkloristisch gefärbtes Andante con moto, dann das attackierende Presto, ein langsames Adagio mit solistischem Cello-Gesang und abschließend das sehr lebendige Finale.
Poetische Klangbilder
Zum meditativen Innehalten, das von Domin-Versen angeregt wurde, führten zwei kontrastreiche Stücke aus Anton Weberns „Fünf Sätze“ (op.5). Besonders intensiv gelangen die Übergänge von Sprache und Musik mit Domins Verszeile „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug“ und Jean Sibelius‘ „Humoreske IV“ (op. 89b) für (die von Sachiko Kobayashi gespielte) Solovioline und Orchester. Das Gedicht „Nur eine Rose“ führte zu Edvard Griegs melodienseligem Orchesterstück „Varen“ (Letzter Frühling) op.34.
Hilde Domins lyrisches Meisterwerk „Es blüht hinter uns her“, das der kunstvoll vortragende Sprecher Martin Stolz zwischen die beiden Tschaikowsky-Cellokompositionen einfügte, fasste alle Freude am Heiteren und Schönen zusammen. Wäre die Neujahrspolitik in unserem Land so freundlich wie diese Neujahrs-Kunstmatinee in der einladenden Kelter, müsste man sich um das neue Jahr keine Sorgen machen.
Autor: Eckehard Uhlig