Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim tritt in der Lienzinger Frauenkirche gemeinsam mit dem Klarinettisten Sebastian Manz auf
Mühlacker-Lienzingen. Am Sonntagvormittag war die Lienzinger Frauenkirche erneut ein Anziehungspunkt für viele Musikfreunde. In ihrer Reihe „Musikalischer Sommer“ hatte die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim mit ihrem Dirigenten Peter Wallinger zum Konzert geladen. Als Gast sorgte Sebastian Manz für wahre Beifallsstürme, der mit seiner Klarinette alles machte, was mit diesem sensiblen Instrument überhaupt nur anzustellen ist. Das Programm bot jedoch auch den Streichern reiche Möglichkeiten, ihr Können, ihr harmonisches Zusammenspiel unter dem einfühlsamen, aber auch zwingenden Diktat ihres Dirigenten zu beweisen. Solopassagen der ersten Geige, von Viola und Violoncello ließen allemal aufhorchen.
Eröffnet wurde die vormittägliche Konzertstunde mit einem Orchester-Quintett Es-Dur in drei Sätzen von Josef Mysliveček. Dieser Komponist kam 1734 in Prag zur Welt und starb 1781 völlig verarmt in Rom. Nachzulesen ist, dass Mysliveček in Italien einst der bestbezahlte Opernkomponist war und als „il divino Boemo – der göttliche Böhme“ gefeiert wurde. Er war Zeitgenosse Mozarts, mit dem er freundschaftliche Kontakte gepflegt haben soll. Unter beschwingter Führung setzte das Orchester zu einem heiteren Allegro con brio an, im nachfolgenden Largo dann mit dominierenden Passagen der ersten Geige. Der Beginn des dritten Satzes Presto schien sich in den ersten Takten ein wenig an Mozart zu orientieren. Mit beherzten Tempi, melodischen Dialogen zwischen erster Geige und Viola, furiosem Aufspielen des Orchesters mit starken Bässen, dann wiederum mit dem Ausloten der dynamischen Möglichkeiten bis hin zu zartem Piano endete dieser „böhmische Teil“ des Konzerts und hinterließ beste Eindrücke. Allein 28 Opern hat Mysliveček komponiert, dazu ein reiches Werk an Vokalmusik aus Messen, Oratorien, Kantaten. Er hat Sinfonien, vielseitige Konzerte, umfangreiche Kammermusikwerke, dazu noch Werke für Klavier und Violine geschaffen. Heute sind sein Name und seine kaum zu zählenden Kompositionen vergessen. Dankenswert, dass es Orchester gibt, die sich dieses reichen Erbes annehmen.
Dann betrat der Star des Konzerts die Bühne. Was soll man über einen Künstler schreiben, der in seinem Metier alle Preise und höchste Auszeichnungen, die es zu gewinnen gibt, gehortet hat? War der Beifall für das Orchester schon herzlich und anhaltend, so wurde Sebastian Manz bereits gefeiert, ehe nur ein Ton aus seiner Klarinette erklang. Viele der Zuhörer hatten ihn wohl bereits bei seinen Auftritten in Mühlacker im Dezember 2011, dann im Juli 2015 und im März 2017 gehört, verteilten also keine Vorschusslorbeeren, sondern sie wussten, was sie von diesem Tonkünstler erwarten durften. Und er enttäuschte sie nicht. Er vertiefte sich mit Hingabe in das Klarinettenkonzert B-Dur von Johann Stamitz, ebenfalls Zeitgenosse Mozarts. Mit lebhaftem Körpereinsatz unterstrich er die Wirkung seiner Tongemälde. Es entfaltete sich ein harmonisches Zusammenspiel mit dem Orchester, mal fragend, mal fordernd, wechselnd zwischen hellstrahlendem Klang und dunklen, warmen Akkorden. Dann gab es eine längere Solopassage, in der die große Meisterschaft nicht nur durch die Geschwindigkeit seiner Finger sicht- und hörbar wurde, auch die exakte Atemtechnik war dem vollendeten Klangbild dienlich. Das Orchester zeigte seine Brillanz in einer stets einfühlsamen Begleitung.
Nicht auf dem Programm stand eine kleine Einführung vom fachlich bestens vertrauten Solisten in „Klarinettenkunde“ des 18. Jahrhunderts. „Die damalige Klarinette hatte nur fünf Klappen, nicht wie die heutige 24“, erklärte Manz, „Es musste viel improvisiert werden, und es bleibt letztlich den Interpreten überlassen, was am Ende dabei herauskommt. Da kann ich mich so richtig austoben auf meinem Instrument. Gut 70 Prozent der Töne sind so im ersten Darmstädter Konzert von Carl Stamitz im Original nicht vorhanden“, lautete eine kleine Vorwarnung ans Publikum. Den dritten Satz, ein Rondo aus besagtem Klarinettenkonzert Es-Dur, interpretierte Manz dann auch so, dass es einen vom Hocker reißen konnte. Da schaute er kaum auf sein „Notenblatt“, denn dies war ohnehin ein zeitgemäßes Tablett, und umgeblättert wurde mit einem Kick auf ein Fußplättchen. Als Dank für den nicht enden wollenden Beifall stimmte er seelenvoll ein Adagio von Mozart an. Noch einmal ließ er die Zuhörer an der ganzen Klangschönheit seiner Klarinette teilhaben.
Mit Leoš Janacek stimmte die Kammersinfonie einen vierten böhmischen Komponisten an. Sechs Sätze aus der „Suite für Streicher“ boten den Musikern Gelegenheit, das Publikum ein weiteres Mal von der Fülle, der Präzision, der Harmonie und der lebhaften Spielfreude, gepaart mit fundiertem Können an den Instrumenten, zu überzeugen. Eine Konzertstunde ging zu Ende, die lange nachklang.
Eva Filitz