Peter Wallinger und die Musiker der „sueddeutschen kammersinfonie bietigheim“ müssen kurzfristig umdisponieren. Konzertmacher gibt nicht auf und sucht immer wieder neue Wege. Engagement stößt bei Künstlern und dem Publikum auf Zuspruch.
Mühlacker. Eigentlich wollten die Musiker der „sueddeutschen kammersinfonie bietigheim“ unter ihrem Dirigenten und Leiter Peter Wallinger am Wochenende zwei Konzerte geben: am Samstagabend in Bietigheim und am Sonntag im Uhlandbau in Mühlacker. Ersteres wurde abgesagt, das zweite musste kurzfristig in eine Aufzeichnung umgewandelt werden, die ab dem zweiten Adventswochenende im Internet zu erleben sein soll.
„In meiner mehr als 40-jährigen Laufbahn gab es noch nie so viel Bewegung wie in den letzten Monaten, Wochen, Tagen, ja Stunden“, räumte Wallinger gegenüber unserer Redaktion ein. Erst sei die Absage aus Bietigheim gekommen, dann hatte man sich dazu entschlossen, auch das Konzert in Mühlacker nicht öffentlich, sondern in Form der Aufzeichnung stattfinden zu lassen. „Es hatte sich eine Verschärfung der Lage abgezeichnet, und vom Landrat kam der dringende Rat, keine größeren Veranstaltungen durchzuführen.“ Verboten seien solche Veranstaltungen zwar nicht gewesen, betont Wallinger, zumal wenn sie unter 2-G-Bedingungen stattfinden, „aber man hat schon seine Bedenken.“ Innerhalb kürzester Zeit mussten Wallinger und sein Team also eine Videoproduktion samt Tonmeister finden. Zugleich war klar, dass das Orchester während der Aufzeichnung nicht auf der Bühne, sondern im Saal spielen musste, damit die Mindestabstände gewahrt bleiben. „Ein dichtes Gedränge auf der Bühne und ohne Maske wäre zu riskant gewesen“, so Wallinger.
Am Dienstag vor dem Konzert kam dann die nächste Hiobsbotschaft: Die eigentlich eingeplante Solistin aus Berlin musste aufgrund einer schweren Erkältung absagen. Nun stand plötzlich auch die Aufzeichnung auf der Kippe. Trotzdem haben die Organisatoren nach einem Ersatz gesucht; keine leichte Aufgabe, weiß Wallinger. „Es ist ein sehr anspruchsvoller Part“. Fündig geworden sind sie in München bei Maria Rebekka Stöhr, die zwar auch gesundheitlich leicht angeschlagen war, aber das Zeichen gab: Sie wagt es. Das Programm musste allerdings kurzfristig geändert werden, weil für die Mezzosopranistin zu wenig Zeit blieb, die eigentlich geplanten „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler einzustudieren. Sie schlug stattdessen drei andere Lieder von Mahler vor.
Nun war es an Wallinger und seinen Mitstreitern, schnellstmöglich die Noten dafür zu organisieren und diese mit der Kammersinfonie einzustudieren. Das ist offenkundig gelungen. Bei der Aufzeichnung am Sonntag war von der Hektik im Vorfeld jedenfalls nichts mehr zu spüren. Souverän meisterten Solistin und Orchester diesen Part.
Dabei war Wallinger dienstags zuvor schon fast so weit gewesen, einfach alles abzusagen. „Ich habe erst einmal tief Luft geholt und überlegt, was wir machen.“ Seine Grundhaltung, die ihn in Pandemiezeiten auch schon bei den Konzerten in Lienzingen ausgezeichnet hat, möglichst alle Veranstaltungen durchzubekommen und nicht aufzugeben – trotz aller Widrigkeiten –, hat hier ebenso geholfen, wie der Umstand, dass Mezzosopranistin Maria Rebekka Stöhr kurzfristig eingesprungen ist.
„Es ist total wichtig, dass man die Musikkultur aufrechterhält und nicht zu schnell aufgibt“, betont Wallinger, auch wenn er weiß, dass es dafür ein enormes Durchhaltevermögen braucht. „Das geht ja jetzt schon fast zwei Jahre so.“ Bei Publikum und Musikern stößt sein Engagement deshalb auf Zuspruch: Gerade die Musiker seien froh, wenn sie spielen können – besonders die Freischaffenden, die natürlich von solchen Engagements leben. Trotzdem hat Wallinger auch hier improvisieren müssen. Einige seiner Musiker spielen nämlich in großen Orchestern, in Stuttgart und Karlsruhe. „Sie haben vor etwa zehn Tagen ein Programm reingedrückt gekriegt und mussten an dem Wochenende spielen.“ Für Solohorn und Soloklarinette musste Wallinger daher ebenfalls Ersatz besorgen. Auch das ist ihm gelungen.
Davon haben sich nicht nur die 50 Besucher überzeugen können, die bei der Aufzeichnung dabei sein durften; davon wird man auch im Stream einen guten Eindruck bekommen, gleichwohl er natürlich nur bedingt die Atmosphäre eines Konzertsaals abbilden kann. Wahrscheinlich wird man sich vorerst aber wieder daran gewöhnen müssen, befürchtet Wallinger. Möglicherweise wird nämlich auch das Neujahrskonzert nur als Aufzeichnung stattfinden können. So wie es bei diesem Konzert der Fall war, das ab dem 4. Dezember auf den Webseiten www.muehlacker-klassik.de/muehlacker-concerto / bzw. www.sueddeutsche-kammersinfonie.de abrufbar ist.
Autor: Stefan Friedrich