Die Klassikreihe „Mühlacker Concerto“ beginnt das neue Jahr mit einem exzellenten Konzert der Süddeutschen Kammersinfonie. Das Publikum in der voll besetzten historischen Kelter in Ötisheim bejubelt den Weltklasse-Cellisten Mikael Samsonov.

Beeindruckend: Die Kammersinfonie Bietigheim spielt beim Neujahrskonzert gemeinsam mit dem Weltklasse-Cellisten Mikael Samsonov. Foto: Bastian

Ötisheim. Vernunft und Gefühl schließen einander aus, lehrte der französische Denker René Descartes, denn klug handele ein Mensch nur dann, wenn er sich nicht von Emotionen beeinflussen lässt. Dies mag vielleicht für Naturwissenschaften zutreffen, aber wer versucht, die Künste mit der Kraft des messerscharfen Verstandes zu ergreifen, kommt nicht weit. Leib, Seele und Geist, Bauch und Kopf bilden vielmehr ein perfektes Ensemble, das uns Menschen von allen anderen Geschöpfen unterscheidet. Dass Geist und Gefühl eine innige Allianz eingehen und sich gegenseitig bereichern können, durften die zahlreichen Besucherinnen und Besucher des Neujahrskonzertes der Reihe „Mühlacker Concerto“ am Sonntagvormittag in der Historischen Kelter Ötisheim in beeindruckender Weise erleben. Auf dem Programm mit der vielsagenden Überschrift „GrenzenLos – LebensWert“ standen Werke aus der Zeit der Romantik. Der Sprecher Martin Stolz rezitierte intermittierend Gedichte von Hilde Domin.

Wer die Programmzusammenstellungen des „Spiritus Rector“ der Reihe, Peter Wallinger, über die Jahre verfolgt hat, weiß, wie viele Gedanken er sich macht, wie sorgsam er abwägt und schließlich Werk-Abfolgen findet, die sinnhafter und klüger kaum sein könnten. Das Konzert am Sonntagmorgen begann slawisch mit der Suite für Streichorchester von Leoš Janáček – und endete slawisch mit zwei Juwelen der Literatur für Violoncello und Orchester von Peter Tschaikowsky: den Rokokovariationen und dem Nocturne aus dem Jahr 1888. Dazwischen standen zwei Miniaturen von Anton Webern und zwei Stücke der skandinavischen Komponisten Jean Sibelius und Edvard Grieg. Martin Stolz trug dazu Verse der deutsch-jüdischen Dichterin Hilde Domin (1909-2006) vor. Ihre Miniaturen sind lebensbejahende und durchaus mutige Impulse zur Freiheit der Entscheidung.

Leoš Janáčeks (1854-1928) einfallsreiche „Suite“ vereinigt tänzerische Leichtigkeit mit anrührenden Kantilenen und der typisch slawischen Schwermut. Dem 16-köpfigen Ensemble gelingt eine sorgfältige, sensible Wiedergabe. Anton Webern (1883-1945) haftet noch heute das Urteil seiner Zeitgenossen an, seine Musik sei zu konstruiert, zu intellektuell und unschön. Doch wer sich ohne Vorbehalte und innere Widerstände auf sie einlässt, wird in Wahrheit reich belohnt. Der Finne Jean Sibelius (1865-1957) beschreibt – anders als sein norwegischer Kollege Edvard Grieg (1843-1907) – nicht die Landschaft und Natur Skandinaviens, er erzählt Geschichten. Mit der Konzertmeisterin der Süddeutschen Kammersinfonie, Sachiko Kobayashi, erklingt Sibelius’ beredte Humoreske IV in warmem und lyrischem Ton. Danach Griegs hochdynamisches Frühlingssehnen „Våren“. Auch bei einer Wiedergabe der höchst virtuosen Rokoko-Variationen von Peter Tschaikowsky (1840-1893) finden Geist und Emotion zu einer beeindruckenden Symbiose zusammen.

Der belarussische, vielfach ausgezeichnete Cellist Mikael Samsonov spielt Cello, so wie andere Leute spazieren gehen. Seine Technik ist atemberaubend und voll sprühender Leichtigkeit, sein Ton und sein Gespür für Form und Struktur sind vollendet. Die Variationen-Folge über ein Thema im Stil des 18. Jahrhunderts ist ein feines, bezauberndes Kammerspiel zwischen der Solostimme, die dem Interpreten musikalisch alles abverlangt, und einem raffiniert durchkomponierten Orchestersatz. Sie gehört zum Schönsten, was die Celloliteratur überhaupt zu bieten hat. Das Publikum zeigte sich fasziniert von der hohen Kunst des Flageolett-Spiels des Belarussen und applaudierte zur Unzeit, mitten in einer Phrase – woraufhin Samsonov, vollkommen zurecht, energisch-abweisend reagiert. Er bewältigte die aberwitzig schwere Stretta am Ende mit einer Leichtigkeit, die fast an Zauberei glauben lässt.

Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim mit ihren vielen sehr jungen Musikerinnen und Musikern hinterlässt den besten Eindruck. Noch über ein Zugabe-Stück von Ennio Morricone hinweg klingen die Worte Hilde Domins nach: „Weil ein neuer Anfang möglich ist: Wer den ersten Schritt in die Zukunft wagt, dem sei gesagt: Fürchte dich nicht, es blüht hinter uns her.“

Autor: Dr. Dietmar Bastian

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