Mit einer Weltpremiere wartet der „Musikalische Sommer“ in der Lienzinger Frauenkirche auf. Dort erklingt erstmals öffentlich das Konzert für Harfe und Orchester „L’Oiseau bleu – Der blaue Vogel“. Das Publikum feiert die Musiker.
Mühlacker-Lienzingen. Nach dem erfolgreichen Auftakt mit zwei Auftritten im Juni fand nun das Festival „Musikalischer Sommer“ in der Lienzinger Frauenkirche seine Fortsetzung. Unter Leitung von Peter Wallinger musizierte die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim in kleiner Besetzung. Geboten wurde eine „Sommerliche Serenade“ mit Werken von europäischen Komponisten der Spätromantik bis hin in die Gegenwart mit „neuer“ Musik.
Spanisch begann diese außergewöhnliche Konzertstunde mit „La oracion del torero – Gebet des Toreros“ des in Sevilla geborenen Komponisten Joaquin Turina. Kernpunkt seines Schaffens waren die Sitten und Gebräuche seiner Heimat Andalusien, darunter als unverzichtbare Komponente der Stierkampf. Laut Überlieferung habe ihn die Beobachtung eines betenden Toreros vor Kampfbeginn inspiriert, dessen emotionale Empfindungen in Noten festzuhalten. Eine Herausforderung für die Musiker, mit fein-transparentem Bogenstrich diesen Gefühlen nachzuspüren. Fast geheimnisvoll die ersten Takte, nach tänzerischen Anklängen ein dramatischer Ausbruch, der wohl den Höhepunkt des Kampfes erfasst, ehe in ruhig dahinfließenden Klangbildern das eigentliche Gebet angestimmt wird. Mit stillem Ausklang hat der Torero Kraft und Frieden gefunden. Unter der subtilen Stabführung ihres Dirigenten gelang es dem Ensemble, die Intentionen des Komponisten nachhaltig umzusetzen. Das Publikum war begeistert.
Sind sonst Uraufführungen von Werken bedeutender Komponisten das Privileg großer Konzerthäuser wie der Royal Festival Hall in London, der Tonhalle in Zürich oder der Carnegie Hall in New York, so fand am Samstag eine solche Weltpremiere in der kleinen Frauenkirche statt. Der britisch-französisch-israelische Komponist Nimrod Borenstein, Jahrgang 1969, hat sein Konzert für Harfe und Orchester „L’Oiseau bleu – Der blaue Vogel“ der renommierten und international mit höchsten Preisen ausgezeichneten Harfenistin Anne-Sophie Bertrand gewidmet. Corona-bedingt musste die bereits für Juli 2020 in Cardiff geplante Uraufführung ausfallen und wurde nun der Kammersinfonie anvertraut. „Ich wollte ein Stück schreiben, in dem die Harfe lyrisch, ja magisch klingt – so wie man sich eigentlich Feenmusik vorstellen würde“, schreibt der Komponist über sein Werk. Wallinger klassifizierte den blauen Vogel als ein interessantes, höchst filigranes Werk. Eingestimmt mit zartem Zupfen, dann mit hellem Harfenklang startet der Vogel zu seinen Höhenflügen, ruft keck, macht Rast und meldet sich erneut mit zwitscherndem Harfenklang – der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Ob nun der Hauch von schwebenden Feen zu spüren war, mag jeder Zuhörer für sich entscheiden. Perlenden Harfenklängen begegneten die Streicher doch recht prägnant. Jedoch der Schluss beglückte: Ganz zart und behutsam vom pizzicato des Kontrabasses getragen, schien nun ein unbestimmtes Etwas, eingehüllt in leise verklingende Harfenakkorde, durch den Raum zu schweben.
Als Solistin war Anne Sophie Bertrand noch mit den „Danse sacrée et Dance profane“ von Claude Debussy zu hören. Tosend der Beifall, das Publikum ließ sie nicht gehen. Zwei Zugaben machten das Glück vollkommen. Denn ihre Wiedergabe der „Lerche“ des russischen Komponisten Michail Glinkas und von „La source – die Quelle“ des belgischen Komponisten Alphonse Hasselmans übertrafen alles, was die Solistin an diesem Abend bisher geboten hatte – und das war bereits tief beeindruckend gewesen. Die ganze Palette menschlicher Gefühle, aber auch Irrungen und Wirrungen, schloss die Solistin in ihr Spiel ein. Die Gesichter der Zuhörer glichen Stimmungsbildern, als sie zum Beispiel die Quelle so munter dahin sprudeln ließ.
Die Musiker der Kammersinfonie folgten mit großer Spielfreude dem stets einfühlsamen Dirigat Peter Wallingers. Der Kirchenraum füllte sich mit singendem Celloklang, als die Solocellistin der Kammersinfonie Chihiro Saito von Pablo Casals das „El Cant dels Ocells – Gesang der Vögel“ anstimmte, getragen von der in allen Passagen behutsamen Begleitung des Ensembles.
Am Schluss des so facettenreichen Konzertprogramms präsentierte sich die Kammersinfonie noch einmal in voller Klangpracht mit der Serenade für Streichorchester opus 20 des englischen Komponisten Edward Elgar. Auch die Orchestermusiker wurden mit Beifall überschüttet, viele Worte aufrichtigen Dankes fielen. Noch einmal griffen die Musiker zu ihren Instrumenten. Bis zum letzten Ton genossen die Zuschauer die Elgar-Zugabe, ehe sie glücklich und zufrieden hinaus in den lauen Sommerabend gingen. Um der Nachfrage zu genügen, wurde das Konzert am Sonntagvormittag wiederholt.
Autorin: Eva Filitz