Peter Wallingers Neujahrskonzert im Uhlandbau von Sonntag an im Internet zu sehen.
Mühlacker. Traditionelle Neujahrskonzerte schwelgen in Wiener Walzer-Seligkeit. Die von Peter Wallinger zusammen mit seiner sueddeutschen kammersinfonie bietigheim und dem Vortragskünstler Johann-Michael Schneider gestalteten Konzerte sind anders und ganz besonders. Das war auch dem bravourösen Auftritt des renommierten Klarinetten-Solisten Sebastian Manz zu danken. Mit ihm erlebten die wenigen zugelassenen Besucher im Mühlacker Uhlandbau trotz der coronabedingten Einschränkungen ein fantastisches Gesamtkunstwerk aus Musik und Poesie, wie es schöner nicht hätte sein können.
Eingangs erinnerte Sprecher Johann-Michael Schneider – dem hundertjährigen Jubiläum des Uhlandbaus geschuldet – an das Schicksal der in Nazi-Konzentrationslagern ermordeten jüdischen Fabrikanten-Familie Alfred Emrich, die das Konzerthaus gegen Widerstände wesentlich finanziert und gefördert hatte. In großen Lettern prangte 1921 zur Eröffnung ein „Dennoch“ über der Bühne. Ein Motto, das sich Wallingers Neujahrskonzert zu eigen machte und auch der Pandemie entgegenstellte: „Dennoch – denn noch klingt die Musik“.
Passend dazu interpretierte die Kammersinfonie unter Wallingers bewährter Leitung in der Mitte des einstündigen Konzerts das „Lento“ aus der „Partita für Streicher“ des in Theresienstadt von den Nazis internierten tschechisch-jüdischen Komponisten Gideon Klein, der mit 25 Jahren noch 1945 als KZ-Zwangsarbeiter ums Leben kam. Die Wiedergabe war getragen von der Schwere eines schwebenden Trauertons, der selbst die rhythmisch betonten, volksliedhaft rasanten Passagen prägte. Verdämmernd der Ausklang.
Auch die von Schneider schauspielerisch ausgestalteten und kunstvoll pointiert gesprochenen kurzen „Lieder der Ermunterung“ von Hilde Domin („Ich setzte den Fuß in die Luft“, „Wer es könnte“, „Nicht müde werden“) und die Gedichte „New Yorker Sonntagskantate“ sowie „Wo sich berühren Raum und Zeit“ der Lyrikerin Mascha Kaléko zeigten einmal mehr, wie viel unsere Kunst jüdischen Menschen zu verdanken hat. Damit wurde die hoffnungsfrohe, ja fröhliche Seite des Abends aufgeschlagen. Und die hatte vor allem mit dem virtuos auftrumpfenden Klarinettensolisten Sebastian Manz zu tun.
Mitreißendes Tango-Feuer
Sein Arrangement von Astor Piazzollas „L’Histoire du Tango“ aus „Café 1930“ changierte zwischen sehnsuchtsvollen, teils hauchzart wiedergegebenen Melodien im Sound einer Filmmusik, und mitreißendem Tango-Feuer, zu dem auch Wallingers Kammerstreicher einen gehörigen Teil beitrugen. George Gershwins „Promenade – Walking The Dogs“ setzte mit manieriert-schrägen Schleifern, Klarinetten-Juchzern, Jubeltönen und lautmalerischen „Hunde-Wuffs“ lustige Akzente. Mit „Fantasia“ und dem Menuetto aus Carl Maria von Webers Klarinetten-Quintett op. 34 kam die Klassik zu Wort und trug mit Bläser-Klangwellen, Seufzern, orgiastischen Läufen und plötzlichen Ausbrüchen zur aufgelockerten Atmosphäre bei.
Alles in den Schatten stellte der fulminante Abschluss. Der Super-Klarinettist und das stilecht begleitende Streicher-Ensemble inszenierten mit Helmut Eisels „Israeli-Suite“ ein Klezmer-Medley der Extraklasse: Unerhört flott wurden wirbelnde Triller-Girlanden entfaltet, lang und kraftvoll ausgezogen erklangen glissandierende Bögen. Näselnde Schlenker und wie Raketen explodierende Spitzentöne lösten immer wieder rauschende Skalen-Anläufe aus, die sich zu Forte-Klangorgien steigerten. Manz war in seinem Element und tanzte auch körperlich mit. Das Publikum jubelte.
Die Video-Aufzeichnung ist ab diesem Sonntagabend, 16. Januar, kostenfrei im Internet zu sehen: www.muehlacker-klassik.de/muehlacker-concerto
Autor: Eckehard Uhlig