Neujahrskonzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mit Nils Wanderer

Die SKB beim Neujahrskonzert, hier in Murr.              Foto: Holm Wolschendorf

MÜHLACKER. Neben Bietigheim ­Bissingen und Murr kommt traditionell Mühlacker in den Genuss eines SKB-Neujahrskonzerts. Seit 2004 bereichert Orchesterleiter Peter Wallinger dort mit seiner Initiative „Mühlacker Concerto“ das Kulturleben der Großen Kreisstadt im Enzkreis. Der Uhlandbau könnte kaum besser besucht sein: Keiner der 200 Plätze im Saal bleibt unbesetzt, auf der Empore haben sich weitere Musikliebhaber verteilt. Vergangenheit und Zukunft überschneiden sich, der Blick geht zurück wie nach vorn: Das ist das janusköpfige Profil der Neujahrszeit, der Jahreswechsel als Gegenwart par excellence gewissermaßen – „… es wird einmal“ hat Wallinger sein diesjähriges Programm überschrieben.

Das überspannt einen Bogen von rund drei Jahrhunderten und reicht von der Renaissance über das Barock bis in die Moderne. Claudio Monteverdi steht am Übergang der beiden erstgenannten Epochen, seine „Favola in Musica“ namens „L’Orfeo“, uraufgeführt 1607 am Hof des Herzogs von Mantua, gilt als eine der ältesten Opern überhaupt und markiert (mit „La Daphne“ und „Euridice“ von  Jacopo  Peri) die Geburtsstunde der Gattung. Text und Musik stehen hier gleichwertig nebeneinander – ein Konzept, das Wallinger auf seine Neujahrskonzerte übertragen hat. Wieder ist der Berliner Schauspieler Johann-Michael Schneider mit von der Partie und trägt durch pointierten Vortrag poetischer Texte zum positiven Gesamteindruck der Matinee bei.

Und so erklingen zwischen der einleitenden „Toccata“ mit der Fanfare der Gonzaga-Familie und dem ersten „Ritornell“, das den Auftritt der Musik höchstpersönlich ankündigt, kurze Verse des bengalischen Literaturnobelpreisträgers Rabindranath Tagore. Insbesondere die „Sinfonia“ aus dem 5. Akt geht mit schmerzlichem Melos unter die Haut. Ähnlich, wenn auch ohne Zwischentexte, verfährt Wallinger mit Henry Purcells Semi-Oper „The Fairy-Queen“ (1692) und verzichtet auf Singstimmen, um stattdessen Instrumentalmusikteile zu einer kurzen Suite zu verbinden.

Ensemble hat Luft nach oben

Als Ausgleich für das Fehlen von Arien und Chören des auf Shakespeares „Sommernachtstraum“ beruhenden Librettos darf Schneider zuvor als Puck durch den Mittelgang geistern. Schwungvoll und präzise animiert Wallinger seine SKB, differenziert in Zeichen- und Körpersprache hält der 72-Jährige alle Fäden in der Hand. Viele neue Gesichter sind unter den 13 Musikerinnen und Musikern auszumachen, überaus präsent wirkt Konzertmeisterin Rebecca Raimondi, doch in Sachen Ensembleklang bleibt etwas Luft nach oben: Es mangelt an Resonanz und Blending, die Einzelstimmen schließen sich noch nicht zum kammersinfonischen Chor zusammen.

Mit Nils Wanderer ist das Neujahrskonzert dann tatsächlich in der Oper angekommen: Einem silberhell überfangenen Sich-Verströmen gleicht die Stimme des Countertenors in Antonio Vivaldis „Sovente il Sole“ (aus der Pasticcio-Serenata „Andromeda liberata“, 1726). Ganz zurückgenommen und verinnerlicht gestaltet ist dann Purcells „When I am laid in earth“ aus „Dido and Aeneas“ (1688/1689) – die schönste, die traurigste Arie der Musikgeschichte wirkt unweigerlich berührend. Dass mit Händels „Lascia ch’io pianga“ (aus „Rinaldo“, 1711)  als Zugabe eine weitere berühmte Barockarie folgt, ist da fast schon zu viel des Guten.

Nach der Pause verblüfft, zu welch entfesselter Raserei der vermeintlich so gemütliche „Papa Haydn“ Anlass geben kann: Was Arthur Cambreling in dessen erstem Cello-Konzert veranstaltet, mutet wie ein expressives Klangfeuerwerk an. Mit der Streichorchesterfassung von Béla Bartóks „Rumänischen Volkstänzen“ (1917) schließt sich der Kreis zu den Suiten des ersten Teils. Euphorischer Beifall für Wallinger, die SKB und die Solisten.

Autor: Harry Schmidt

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