Am Wochenende stehen die traditionellen Früh­jahrskonzerte der Süd­deutschen Kammersinfo­nie Bietigheim an. Erneut liegt die Leitung komplett in den Händen von Simon Wallinger. Ein direk­tes Signal in Sachen Stab­übergabe sei dies aber noch nicht, heißt es.

BIETIGHEIM/MÜHLACKER. Bereits zum zweiten Mal liegt die Lei­tung der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) komplett in Händen von Simon Wallinger: Während das beim Frühjahrskonzert 2022 noch dem zufälligen Umstand ge­schuldet war, dass Orchester­gründer Peter Wallinger vor dem Konzertwochenende erkrankt war und der junge Musiker kurz­fristig auch das Dirigat für den Programmteil seines Vaters übernommen  hatte,  machten die in diesem Jahr nahezu zeitgleich stattfindenden Schüler­konzerte in Bietigheim und Mühlacker es naheliegend, für die am Wochenende ebenda an­stehen den Frühjahrskonzerte 2023 von Beginn an mit Simon Wallinger am Pult zu planen. Mit einer Stabübergabe sei dies in­ des (noch) nicht gleichzusetzen, heißt es von Wallinger senior und junior gleichermaßen: Peter Wallinger spricht von einer „Übergangszeit“, Simon Wallin­ger davon, „Erfahrungen zu sam­meln und Perspektiven zu entwi­ckeln“. Eine direkte Botschaft in Sachen Stabübergabe verbinde sich damit jedenfalls noch nicht.

Ausgangspunkt des Programms war der Wunsch, alle vier Kammersinfonien von Mieczyslaw Weinberg mit der SKB aufzuführen, die 1991 veröffentlichte Kammersinfonie Nr. 3 (Op.151) zählt zum Spätwerk des polnischen Komponisten, der aufgrund seiner jüdischen Her­kunft 1939 über Minsk und Taschkent nach Moskau emig­riert ist, wo er ein enger Wegge­fährte Schostakowitschs wurde, und markiert nun den Auftakt zum Weinberg-Zyklus der SKB. Bereits vor zwei Jahren hatte man dessen „Concertino für Violine und Streichorchester“ (Op.42) auf den Spielplan ge­setzt, seinerzeit auf Initiative des für Vivaldis „Violinkonzert e­-Moll“ (RV 278) einge­ladenen Solisten Tjeerd Top. „Für mich ist Weinberg als Komponist eine wahnsinnige Entde­ckung gewesen“, so Simon Wallinger, „ein völlig unterschätztes Werk, das neben Mahler, auch neben Bruckner be­stehen kann. Was mich an den Kam­mersinfonien faszi­niert, ist, dass man am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch tonal kompo­nieren kann und damit wirklich überzeugt.“ Ein weiteres Mo­mentum für die Konzeption ei­nes Weinberg-Zyklus war das 100-jährige Bestehen des von der jüdischen Familie Emrich gestif­teten, von der SKB regelmäßig bespielten Uhlandbaus in Mühlacker, das 2021 gefeiert wurde.

„Die riesengroßen Bögen, die Weinberg schafft, nehmen manchmal schon fast sinfonische Dimensionen an – das ist auch für mich und die Musiker eine Herausforderung.“ Beim Er­arbeiten seiner Interpretation habe er durchaus auch Aufnah­men wie die vorzügliche von Gi­don Kremer für ECM studiert, schlussendlich gelte es dann aber, sich auch wieder davon zu lösen, so Wallinger junior. Während Weinbergs dritte Kammer­sinfonie nach der Pause erklingt, wirkt der erste Teil des Pro­gramms heterogener. Lediglich als Fragment erhalten ist Beethovens „Violinkonzert C-Dur“ (WoO 5), gespielt wird die Vervollständigung von Josef Hellmesberger (1879). Darauf folgen Beethovens „Romanze F-Dur“ (Op. 50) und  die „Polonaise B-Dur“ (D 580) von Franz Schubert. Im Wechsel von schneller und langsamer Bewegung entspricht die Zusammenstellung ihrerseits der Satzfolge eines Con­certos.

Entstanden sind die drei Werke in relati­ver zeitlicher Nähe zueinander, an der Schwelle von der Wiener Klassik zur Romantik. Insofern bewege man sich mit dem Frühjahrskon­zert vom Beginn dieser Epoche bis zu ih­ren letzten Ausläu­fern in der spätromantischen Klangsprache Weinbergs, so Wallinger. Als Solist im ersten Teil wird erneut Tjeerd Top mit seiner Stradivarius aus dem Jahre 1713 zu hören sein, im zwei­ten wird der erste Konzertmeis­ter  des  Königlichen  Concertge­bouw Orchester Amsterdam sich das erste Pult mit Swantje Asche-Tauscher teilen.

Autor: Harry Schmidt

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