Bei den Adventskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim konnte man die junge Berliner Pianistin Annika Treutler kennenlernen. Die 33-Jährige verfügt über ein außergewöhnlich nuanciertes Gestaltungsvermögen.
BIETIGHEIM-BISSINGEN/MÜHLACKER. Gut eine Dekade lang hat Sachiko Kobayashi mit selten unterbrochener Regelmäßigkeit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) als Konzertmeisterin ein Gesicht gegeben und das Profil des 1984 von Peter Wallinger gegründeten Orchesters in dieser Ära mitgeprägt. Nachdem die japanische Violinistin, ihres Zeichens auch Primaria des Stuttgarter Lotus Quartetts, in den vergangenen zwei Jahren kürzer getreten hat, war ihre Rückkehr ans erste Pult der ersten Violinen für nicht wenige der Zuhörer ein überraschendes Wiedersehen mit einer hochgeschätzten Musikerin.
Treues Publikum aufgebaut
Mit der Reihe Mühlacker Concerto trägt der 73-jährige Dirigent Wallinger seit langem einen nicht unwesentlichen Baustein zum kulturellen Leben von Mühlacker bei, dementsprechend hat sich die SKB hier ein treues Publikum aufgebaut.
Eine Premiere dürfte indes für die meisten die Begegnung mit Annika Treutler gewesen sein: Zwar wurde die Berliner Pianistin bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2020 mit dem „Opus Klassik“ für die „Konzerteinspielung des Jahres“, doch die Gelegenheiten, Treutler bei Auftritten in Süddeutschland zu erleben, waren bislang eher rar gesät. Abhilfe schaffte ihr Debüt als Solistin der SKB bei den Adventskonzerten des Orchesters – das Programm wurde zuvor im Bietigheimer Kronenzentrum präsentiert -, die zugleich die Jubiläumssaison zum 40-jährigen Bestehen des Ensembles einläuteten.
In Mozarts 1786 komponiertem Klavierkonzert A-Dur (KV488) konnte man eine nachgerade ideale Interpretin dieses Schlüssel- und Gipfelwerks seiner Gattung kennenlernen. Mit erlesenem Rubato gestaltet die 33-Jährige ihre Solopassagen im Allegro-Kopfsatz, vollzieht die vielgestaltigen Gedanken der Mozart’schen Klangrede nicht nur pianistisch auswendig, sondern auch sehr beredt in ihrer Mimik nach. Eine im Wortsinn geschmeidige Eloquenz, eine superb geschliffene Klangkultur prägt ihr Spiel, die von Mozart hier erstmals auskomponierte Kadenz wächst zu einem atemberaubenden Ohrenspitzer. Das folgende Siciliana-Adagio unterstreicht, dass die empfindliche Musik Mozarts bei Treutler nicht nur in besten Händen ist; in den nuancenreichen Variationen spricht der gesamte Körper der Pianistin mit. Exquisit dann das finale Kehraus-Rondo, in dessen buffoneskem Charakter sich auch die zeitliche Nähe zu „Le nozzo de Figaro“ äußert, durchgehend exzellent die Einbettung durch Wallinger und die SKB. Für den enthusiastischen Beifall und Bravorufe bedankt Treutler sich mit dem Impromptu No. 5 von Jean Sibelius.
Ungeheuer eindringlich im Anschluss das „Moderato“ aus Pēteris Vasks’ „Musica adventus“, Wallinger lässt die nordisch-kontemplative Musik atmen. Mit einer in ihrer Balance von kammermusikalischer Transparenz und orchestraler Sinfonik den zwischen barocken Rückbezügen und einer Vorschau auf die Romantik oszillierenden Gestus der Es-Dur-Sonfonie (KV 543) exakt treffenden Interpretation schließt sich nach der Pause der Mozart-Kreis des vorzüglichen Adventskonzerts. Das letzte Mal in der verdienstvollen Laufbahn SKB mit Peter Wallinger? Das lässt der Dirigent im Gespräch mit unserer Zeitung vorerst noch offen.
Autor: Harry Schmidt