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12.07.2019, Ludwigsburger Kreiszeitung

Mir geht es um das Innenleben der Musik

Seit über drei Jahrzehnten bereichert Peter Wallinger mit seiner Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim die Klassikmusiklandschaft der Region. Ein Gespräch mit dem Maulbronner Dirigenten über prägende Erfahrungen, Klangideale und Zukunftspläne.

BIETIGHEIM-BISSINGEN. Vor 35 Jahren gründete Peter Wallinger mit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim ein Orchester, dessen Name mittlerweile weit über die Region hinaus einen außerordentlich guten Klang besitzt. Fünf- bis sechsmal im Jahr versammeln sich bis zu 40 Musikerinnen und Musiker um den 1950 in Mühlacker geborenen Dirigenten. Die Qualität des Projektorchesters hat sich herumgesprochen – längst sind Auftritte wie ihre Neujahrskonzerte in Bietigheim, Mühlacker und Murr zu Konstanten im Veranstaltungskalender musikinteressierter Kreise geworden. Auch die am Wochenende in Sachsenheim und Lienzingen anstehenden „Sommerlichen Serenaden“ haben Tradition. Wir haben uns im Vorfeld mit dem rührigen Kapellmeister unterhalten.

Herr Wallinger, was hat dazu geführt, dass Sie Dirigent geworden sind?
PETER WALLINGER: 
Musik war von Kindesbeinen an meine Leidenschaft. Meine Eltern waren Musikliebhaber, aber keine Musiker. Schon in der Schulzeit ging ich meine ganz eigenen Wege, lernte Geige und Klavier. Als ich nach einem recht guten Abitur Musik studieren wollte, war mein Vater nicht besonders glücklich darüber. Aber mein Entschluss, dass es für mich nur die Musik gibt, stand früh fest. Ich hatte damals gar nicht vor, unbedingt Dirigent zu werden; die Musik hat mich erst mal in ihrer gesamten Breite interessiert. Nachdem ich in Stuttgart das Studium der Schulmusik und Mathematik relativ schnell absolviert hatte, habe ich die Kapellmeisterklasse bei Professor Thomas Ungar besucht und mich parallel dazu für Musikwissenschaften in Tübingen eingeschrieben.

Welche einschneidenden Erfahrungen aus dieser Zeit klingen bis heute nach?
Das waren vor allem die Dirigierkurse von Sergiu Celibidache, als er in den Siebzigerjahren nach Stuttgart kam. Während der Zeit, als Celibidache das RSO Stuttgart leitete, habe ich regelmäßig daran teilgenommen. Obwohl ich kein hundertprozentiger Fan gewesen bin, waren das doch ausgesprochen prägende Erlebnisse. Celibidache hatte eine enorme Aura. In diesen Kursen hat er seine Jünger um sich geschart und eigentlich mehr philosophiert als dirigierpraktische Arbeit geleistet. Dort war ich einer der wenigen, die auf diesem Gebiet bereits erste Erfahrungen gemacht hatten. Am meisten habe ich davon profitiert, bei den Proben zuzuhören: Wie nuanciert er mit Streichern und Bläsern geschliffen hat, um einen möglichst homogenen Klang zu erzielen, an Feinheiten wie Vibrato und Agogik gearbeitet hat – das war wirklich beeindruckend. Er war allerdings auch sehr autoritär, hat Musiker und Schüler vor der ganzen Mannschaft abgekanzelt – das war absolut nicht nach meinem Geschmack. Aber er war ein echter Klangmagier.

Was war sonst noch prägend für Ihre Klangauffassung?
Es gab seinerzeit an der Stuttgarter Hochschule ein Ensemble für Neue Musik, unter Professor Erhard Karkoschka, der seinerzeit Komposition unterrichtet hat. Dort habe ich zwei Jahre als Geiger mitgewirkt, in kleiner Besetzung wurden viele Uraufführungen realisiert. Das war manchmal ganz schön anstrengend – etwa wenn man stundenlang nur geräuschhafte, wenn auch sehr raffinierte Klänge erzeugt –, aber für mich eine un- gemein interessante, sehr wertvolle Er- fahrung. Auch die Zeit als Bratscher im Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Wolfgang Gönnewein möchte ich nicht missen: 1988 habe ich an der legendären Inszenierung des „Frei- schütz“ mit Loriot mitwirken dürfen, war bei Orchesterreisen nach China oder zum Schleswig-Holstein Musik Festival dabei.

Auch als Musikerzieher am Bietig- heimer Ellentalgymnasium haben Sie einiges bewirkt. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Lehrtätigkeit?
Neben Orchesterreisen mit dem Schulorchester unter anderem nach Frankreich und Italien war eine der Sternstunden die Aufführung von Beethovens Streichquartett Nr. 4 mit der damals zwölfjährigen Ursula Schoch als Primgeigerin. Rund 80 ehemalige Schülerinnen und Schüler aus dieser Zeit haben ihren beruflichen Weg zur Musik gefunden.

Welche Klangvorstellungen verfolgen Sie mit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim, die Sie 1984 gegründet haben?
Große sinfonische Werke in reduzierter Besetzung zu spielen, ist schon mein Ideal, weil damit ein viel größeres Augenmerk auf Artikulation und Differenzierung einhergeht. Jede Phrasierung, jeder Ton muss bewusst gestaltet werden. Bei 100-köpfigen Sinfonieorchestern, wie ich sie auch dirigiert habe, geht es um die große Fläche. Aber mit einem Ensemble wie der Kammersinfonie geht es um das Innenleben der Musik. Und natürlich ist jeder einzelne Musiker dabei in höchstem Maße gefordert. Ich glaube auch, dass man mit einem kleinen Orchesterapparat dem Originalklang, den sich die Komponisten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts vorgestellt haben, viel näher kommt.

Welchen Leitgedanken folgen Sie bei der Programmgestaltung?
Es gibt kein Prinzip, wichtig ist die Stimmigkeit der Konzeption. Mal stehen Kontraste im Vordergrund, mal mehr die Idee des Brückenschlags, wobei für mich oftmals Tonarten und Tonartenverhältnisse maßgebend sind. Dann geht es wieder um außermusikalische Themen, die sich in der Musik unterschiedlich spiegeln.

Für das anstehende Sommerkonzert kombinieren Sie Benjamin Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streicher (Op. 31) mit Dvoráks E-Dur-Serenade (Op. 22) und Schuberts „Arpeggione“- Sonate (D 821). Von welchen Überlegungen haben Sie sich dabei leiten lassen?
Diese zwei Serenaden wollte ich schon immer mal zusammenbringen. Von der Atmosphäre her sind beide durchaus ähnlich, und doch besitzt jede eine eigene Charakteristik, auch weil sie aus verschiedenen Epochen stammen. Mit dem jungen lyrischen Tenor Kai Kluge und dem Solohornisten Reimer Kühn, beide von der Staatsoper Stuttgart, konnte ich zwei exzellente Solisten für die Britten-Serenade gewinnen. Und mit der „Arpeggione“-Sonate – ein Traum für jeden Cellisten, den bei uns Chihiro Saito, die Cellistin des Lotus String Quartetts, realisieren wird – möchte ich einen mehr intimen, romantischen Akzent setzen.

Wie bereiten Sie sich auf so eine Aufführung vor?
Oft ziehe ich mich in mein Refugium im Berner Oberland zurück. Auf fast 2000 Meter Höhe betreibt ein befreundetes Paar einen Berggasthof, dessen Gesindestube mir jederzeit offensteht. Diese Abgeschiedenheit wirkt sehr inspirierend auf mich. Auch viele Programmideen entstehen dort oben in Gletschernähe.

Harry Schmidt



15.04.2017, Pforzheimer Zeitung

40 Jahre Musikalischer Sommer in Lienzingen mit Peter Wallinger

Die Frauenkirche in Lienzingen hat Peter Wallinger als eindrucksvollen musikalischen Aufführungsort entdeckt Foto: Fotomoment

Mühlacker-Lienzingen. In der Musik gibt es zwei Kräfte, die sich nur scheinbar widersprechen. Wie in jeder Kunst braucht es Freiheit, um ein guter Musiker zu sein – aber ohne Pflichtbewusstsein wird leicht Chaos daraus. Auch der Dirigent Peter Wallinger hat ein Leben zwischen diesen Polen geführt; sich das eine Mal für Freiheit, das andere für Pflicht entschieden – und ist am Ende seinen ganz eigenen Weg gegangen.

1950 wird er in Mühlacker geboren. Schon als Kind begeistert er sich für die Musik. „Ich habe meine Eltern gedrängt, mit mir Konzerte zu besuchen – nicht andersrum.“ An die Konzerte des Südfunk-Sinfonieorchesters im Uhlandbau erinnert er sich, oder an die Pforzheimer Sinfoniekonzerte in der Osterfeldschule. Natürlich will er ein Instrument lernen. „Eigentlich Klavier“, sagt Wallinger. Der Vater aber habe ihn zur Geige überzeugt. „Die war schließlich billiger.“

Geigenunterricht in Pforzheim

Über den Vater spricht Wallinger mit Ehrfurcht. Mit 19 sei der in den Krieg gezogen – kam erst mit 25 Jahren wieder zurück. „Das war ein Kämpfer. Das habe ich bewundert, aber das war mir auch irgendwie immer suspekt.“ Schon der Vater habe Geige gespielt, sei aber eben nur mit einem Arm aus dem Krieg zurückgekommen. So beerbt Wallinger den Vater musikalisch. Er entwickelt sich gut. Nach einem Jahr Musikunterricht attestiert ihm sein Mühlacker Geigenlehrer Kraus, ausgelernt zu haben. Liegt es an Wallingers Talent? Sicher. Vielleicht aber auch daran, dass Kraus während der Geigenstunden immer einschläft. „Der war rund 80 Jahre alt und hat immer gesagt, er habe in Berlin noch für den Kaiser gespielt.“

Wallinger lernt weiter, bald auch das Klavierspiel, investiert beinahe die gesamte Freizeit in die Musik. „Ich war introvertiert“, sagt er, „eher der Typ anerkannter Außenseiter“. So steht sein Berufswunsch fest. Wallinger will Musiker sein. „Mein Vater hat das nicht verstehen können. Er meinte: ,Du hast so gute Noten. Du kannst Medizin studieren und einen Haufen Geld verdienen.‘“ Will Wallinger aber gar nicht. „Ich habe mich dann entschieden, Musiklehrer zu werden.“ Und damit ist auch der Vater zufrieden. Lehrer sei ja schließlich ein anständiger Beruf.

Begegnungen mit Celibidache

Mathematik wählt er noch hinzu in Stuttgart, später noch Kapellmeisterkurse und Musikwissenschaft an der Uni Tübingen – und natürlich die Geige. Er kommt viel in Europa herum, als er mit dem Ensemble Neue Musik unter Erhard Karkoschka zeitgenössische Werke uraufführt. Doch die Abschlussprüfung wartet. Wallinger muss die neuen Spieltechniken wieder vergessen, die er gelernt hat. „Karkoschka hat immer geschrien: ,Das muss jetzt richtig kratzen auf der Geige.‘“ So lässt sich aber keine Prüfung ablegen. Doch bevor Wallinger die Hochschule verlässt, steht ihm eine Begegnung bevor. Der später in München Weltruhm erlangende Sergiu Celibidache leitet das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart – und lässt auch junge Studenten an seinen Interpretationen teilhaben. Jünger scharrt er um sich, die ihm lauschen, wenn er über Musik philosophiert. Das Problem: Dirigieren können die nicht. Wallinger schon. Aber Celibidache lässt immer nur die eigene Meinung gelten. Schon in Stuttgart fängt er damit an, Musik ungewöhnlich langsam zu spielen – eine Handschrift, die er als Dirigent der Münchner Philharmoniker bis ins Groteske steigern wird. „Ich habe viel gelernt von ihm – gerade in der spätromantischen und impressionistischen Musik, wo es stark um Klangfarben geht“, sagt Wallinger. „Aber seine Mozart-Interpretationen fand ich nicht so überzeugend.“ Viel gesehen und gehört hat Wallinger bereits, als er als Referendar an das elitäre Stuttgarter Königin-Katharina-Stift kommt – und erst von einem Kollegen überzeugt wird, dem Lehrerjob auch ernsthaft eine Chance zu geben. Claudio Prorini ist der italienische Musiklehrer der Schule; nicht wirklich hoch angesehen im Kollegium – aber bei Wallinger. „Der hatte Stil, konnte gut kochen und hatte eine unkonventionelle Art, zu unterrichten“, sagt Wallinger. Er selbst ist jetzt Musiklehrer aus Leidenschaft, kommt ans Bietigheimer Ellentalgymnasium – und ist in seinem Element. Das Schulorchester baut er auf, sein Unterricht bringt den all den Jahren Dutzende Profimusiker hervor. „Ich habe vor Kurzem mal gezählt: Es müssten so um die 80 sein.“ Auch die Mitglieder der Band Pur haben bei Wallinger die Schulbank gedrückt.

Irgendwann aber wird es zu viel. Wallinger reduziert die Stunden – es geht trotzdem nicht mehr. In der Lienzinger Frauenkirche hat er mit dem „Musikalischen Sommer“ eine Konzertreihe entworfen, die in diesem Jahre ihren 40. Geburtstag feiert, in Bietigheim die „sueddeutsche kammersinfonie“ gegründet, Gastdirigate stehen an. „2004 habe ich den Lehrerberuf an den Nagel gehängt.“

Wallinger ist zufrieden damit. Auch jetzt, 13 Jahre später, hat er noch gut zu tun – und auch schon einen Nachfolger in Aussicht. Sein Sohn Simon studiert Kontrabass und Klavier in München. „Er will Dirigent werden.“Vielleicht wird der ganz freiwillig der Nachfolger seines Vaters – und hätte damit Pflicht und Freiheit genüge getan.

Simon Püschel



08.04.2017, Mühlacker Tagblatt

Oase der Ruhe zum Klingen gebracht

Peter Wallinger erfüllt seit 40 Jahren die Lienzinger Frauenkirche mit hochkarätiger Musik – Jubiläumssaison beginnt im Juni


Wenn Peter Wallinger mit dem respekteinflößend alten Schlüssel das ebensolche Schloss der Frauenkirche öffnet und den Raum betritt, fühlt es sich für ihn ein bisschen an wie Nachhausekommen. Kein Wunder, hat der Dirigent doch aus dem bauhistorischen Kleinod eine Heimstätte der Musik gemacht

Mühlacker-Lienzingen. Der „Musikalische Sommer“ ist auf Initiative Peter Wallingers in die ehemalige Wallfahrtskirche eingezogen, die sich in den vergangenen vier Jahrzehnten zum Pilgerort für die Anhänger klassischer Klänge entwickelt hat. Und auch in Zukunft soll es an Gründen, nach Lienzingen zu kommen, nicht mangeln: Die Jubiläumssaison bietet vom 18. Juni an weitere sechs Matineen.

An diesem Montagabend aber sind es nicht die hochkarätigen Solisten, auch nicht die fein aufeinander abgestimmt agierenden Musiker eines Orchesters, die das Gotteshaus mit Klängen erfüllen. Es sind die Gesänge der Vögel, die durch die geöffneten Türen ins Innere dringen. Sie mögen Peter Wallinger ebenso als Inspirationsquelle dienen wie die unaufdringliche und doch so variantenreiche Ornamentik der Kirche. Der Narr an der Rückwand, die Spinne an der Decke, die Fischmotive, die sich sehr deutlich am Aufgang zur Kanzel zeigen: All diese Zeugnisse kreativen Schaffens aus alter Zeit bedeuten ihm mehr als eine hübsche Kulisse. Neue Ideen flögen ihm hier zu, sagt Peter Wallinger, hier, in einer Oase der Ruhe, die er zum Klingen gebracht hat.

Dass aus der ersten Begegnung mit der Frauenkirche eine derart intensive Beziehung werden würde, konnte der Musiker freilich nicht ahnen, als er im Jahr 1977 das Gebäude auf der Suche nach einer Konzertstätte für das gerade gegründete Kammerorchester „Junges Divertimento“ erkundete. Obwohl in Mühlacker geboren und aufgewachsen, sei er überrascht vom archaischen Charme der Kirche gewesen, erinnert sich Peter Wallinger. Diese erlebte am 4. September 1977 die Geburtsstunde der Reihe, die allerdings erst sechs Jahre später in Anlehnung an das französische Festival „Été musicale“ den Namen „Musikalischer Sommer“ erhalten sollte. Ein Telemann-Werk habe den Anfang markiert, der Künstler Dr. Eberhard Frank die Begrüßungsrede gehalten.

Seither mögen 400 Konzerte stattgefunden haben, schätzt der Initiator. Zeitweise sei Lienzingen auch eine Außenstelle der Maulbronner Klosterkonzerte gewesen. Waren es zunächst auf hohem Niveau musizierende Schüler und Bekannte Wallingers, die unter seiner Leitung auftraten, so gastierten in der Frauenkirche bald auch auswärtige Ensembles. Lang liest sich die Liste renommierter Interpreten, die den Charme des Konzertortes zu schätzen wussten und wissen. Mit großen Gagen könne er Stars wie den Klarinettisten Sebastian Manz nicht locken, sagt Peter Wallinger, mit spannend gestalteten Programmen schon. Lange Jahre sei kein Eintritt erhoben worden, berichtet der Dirigent. Auch wenn sich dies mittlerweile geändert habe, kalkuliere er immer noch vorsichtig. Zur Finanzierung des Festivals trügen ein jährlicher Beitrag der Stadt Mühlacker, Zuschüsse von Land und Kreis, der Förderverein sowie Sponsoren wie vor allem die Stadtwerke bei. „Bei Stiftungen ist es zuletzt schwieriger geworden“, spricht Peter Wallinger von einem zähen Ringen um Unterstützung, das einen großen Teil seiner Arbeit ausmache, doch gehe die Rechnung am Ende „immer so gerade auf“. Weder Geld noch Platz seien im Überfluss vorhanden, auch die Temperaturen setzten dem Musizieren in der Frauenkirche Grenzen. „Qualität vor Quantität“ leitet Wallinger aus dieser Situation jene Maxime ab, die für ihn bei der Erarbeitung jedes einzelnen Stücks, jedes Programms, jeder Konzertsaison gilt.

Moderne Scheinwerfer mögen die Musiker heute ins rechte Licht setzen, ein von einer treuen Zuhörerin gestifteter Teppich die Füße der Interpreten vor Kälte schützen – unverändert geblieben sei in 40 Jahren der Anspruch, nicht nur die häufig gehörten Werke darzubieten, sondern auch unentdeckte Schätze zu heben. Die Zuhörer danken es Peter Wallinger: Jeweils etwa 200 Musikfreunde versammeln sich zu den meisten der pro Jahr inzwischen sechs Matineen. Auch den im klassischen Bereich eher raren Zuhörer-Nachwuchs habe er im Blick, verweist der langjährige Lehrer auf das im „Musikalischen Sommer“ fest etablierte „Podium junger Künstler“ und die Schülerkonzerte, die er innerhalb der ebenfalls von ihm initiierten Reihe „Mühlacker Concerto“ anbietet. Die Resonanz sei enorm. „Ich bin nicht so pessimistisch wie andere, was das künftige Konzertpublikum angeht“, bezieht sich Peter Wallinger auch auf seine Erfahrungen mit „sehr aktiven“ Musikschulen in der Region. Er erlebe die Generation der um die 20-Jährigen als überaus aufgeschlossen. Wer sich mit Musik beschäftige, profitiere in vielfacher Hinsicht. Die Kreativität werde ebenso angeregt wie das strukturelle Denken.

Aus Wallingers Leben jedenfalls ist die Welt der Klänge nicht wegzudenken. Arzt zu werden, wie es der Vater dem Sohn ans Herz gelegt habe, sei nicht infrage gekommen. „Ich musste einfach Musik machen“, blickt der heute 66-Jährige zurück. Zur Schulmusik wählte er als zweites Fach die Mathematik hinzu, studierte zusätzlich Musikwissenschaft, besuchte die Kapellmeisterklasse. „Dann kam Celibidache nach Stuttgart“, benennt Peter Wallinger ein für seine Vita einschneidendes Ereignis. Das „Faszinosum“ des Dirigenten ergriff auch ihn, vom „Klangmagier“ bezog er entscheidende Impulse.

Das feine Gehör, das Wallinger Celibidache bescheinigt, ist auch ihm selbst zu eigen, es hat seine Arbeit als Geiger, Musiklehrer und Dirigent geadelt und ihm zahlreiche Gastdirigate auf internationalem Parkett eingetragen. Doch auch der Frauenkirche will der begeisterte Bergwanderer treubleiben. „Ich mache einfach gern Musik“, laute seine Antwort, wenn ihm hin und wieder die Frage nach der Zukunft der Reihe gestellt werde. Ob sein Sohn Simon, der die Jubiläumssaison mit Bachs „Goldberg-Variationen“ eröffnen wird, irgendwann in die Rolle des Vaters schlüpfen könnte? Darüber mache er sich noch keine großen Gedanken, sagt Peter Wallinger. Viel eher kreisen diese um neue Programme, die gern auch einmal eine halbszenische Aufführung einer frühen Barockoper enthalten dürften. Ein noch unerfüllter Traum – bisher habe er die passende Formation nicht gefunden, bedauert der Festival-Leiter. Gut müsse das Ergebnis schließlich sein. Wie anders könnte der Anspruch an einem Ort lauten, an dem die Vögel so schön singen?

Text u. Foto: Carolin Becker



15.04.2014, Mühlacker Tagblatt

„Musik auf hohem Niveau“

Beim Festkonzert am 17. Mai 2014 um 20 Uhr wird nicht nur das 30-jährige Bestehen der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim, sondern auch das Jubiläum „Zehn Jahre Konzerte im Uhlandbau Mühlacker“ gefeiert.

Hätten Sie sich zum Start von „MühlackerConcerto“ vorstellen können, dass die Reihe so lange läuft? Musik im Uhlandbau, dem Konzertsaal mit seiner für Mühlacker gewichtigen Geschichte – das war meine Vorstellung, daraus habe ich die Konzertreihe initiiert. Dass die Konzerte so gut angenommen werden und inzwischen auch vonseiten der Stadt finanziell unterstützt werden, freut mich sehr.

Mit dem „Musikalischen Sommer“ sind Sie in der Lienzinger Frauenkirche, einem bauhistorischen Schmuckstück, zu Gast. Was macht für Sie den Reiz des Uhlandbaus aus? An Zeiten musikalischer Höhenflüge der 1920er-Jahre anzuknüpfen, als Künstlergrößen wie Rudolf Serkin, Fritz Busch und Carl Orff das Musikleben hier in der Provinz prägten, das ist ein absolut motivierender Impuls für mich. Und eindeutiger Reiz ist die hervorragende Akustik des Saales, die man dem Uhlandbau von heute vielleicht nicht ansieht, die aber von den Hörern wie von den Musikern gleichermaßen hoch geschätzt wird.

Wie viele Gäste locken die Uhlandbau-Konzerte an? Aus welchem Umkreis kommen diese? Anders als in Lienzingen kommen neben den Gästen von auswärts erfreulicherweise viele Besucher direkt aus Mühlacker und unmittelbarer Umgebung. Die Besucherzahlen stabilisieren sich zunehmend, freie Plätze gibt es aber fast jedes Mal noch. Die neu initiierten Schülerkonzerte waren allerdings rasch ausverkauft.

Sie haben immer wieder namhafte Künstler engagiert. Wie finanziert sich die Reihe? Als Festivalleiter u n d Musiker in Personalunion habe ich gute persönliche Verbindungen – inzwischen europaweit – zu namhaften Künstlern, die auch mal außerhalb ihrer Agenturen und zu Sonderkonditionen zu spielen bereit sind. Das ist abgesehen vom enormen Arbeitsaufwand ein großer Vorteil. Die andere Seite der Medaille ist ein über die Jahre hinweg aufgebautes, gut funktionierendes Sponsorenkonzept, ein aktiver Förderverein und eine straffe, effiziente Organisationsstruktur.

Was wünschen Sie sich für die nächsten zehn Jahre? Ich wünsche mir, dass generationenübergreifend immer mehr auch junge Menschen Zugang zur klassischen Musik finden und sich für die höchst wertvolle Beschäftigung mit ihr hörend und musizierend begeistern können. Ein echtes Forum stelle ich mir vor für vitale Musikerlebnisse auf hohem Niveau – und die nicht nur in den entfernten Metropolen, sondern ortsnah und erschwinglich.

Planen Sie 2015 im Jahr der Gartenschau spezielle musikalische Projekte? Ja, natürlich! Ideen gibt es, sie warten und sind jederzeit abrufbereit …

Fragen von Carolin Becker



21.08.2010, Pforzheimer Zeitung

Von Celibidache viel gelernt

„Den Schritt in die freiberufliche Existenz habe ich nie bereut“, sagt der Dirigent Peter Wallinger. Wobei er sich in der privilegierten Lage befindet, in seinen angestammten Beruf des Musiklehrers an einem Gymnasium in Bietigheim zurückkehren zu können. „Ich lasse mich immer wieder für ein Jahr freistellen“, erläutert der künstlerische Leiter des Festivals „Musikalischer Sommer“ in Lienzingen. Den Eindruck, dass er bald in sein früheres Betätigungsfeld zurückkehren könnte, macht Wallinger indes nicht.

Zu sehr scheint er neben seiner Funktion als Festivalleiter und der Leitung des Projektorchesters „Sueddeutsche Kammersinfonie Bietigheim“, das seit fünf Jahren auch einen Konzertzyklus in Mühlacker spielt, als Gastdirigent beansprucht. „Und endlich habe ich auch die Zeit, Partituren wie ‚Mahlers Lied von der Erde’ für eine kleinere Orchesterbesetzung zu bearbeiten“. Während seines Schuldienstes habe er solche Projekte infolge Zeitmangels nicht bewerkstelligen können.

Dass Wallinger Schulmusiker geworden ist und nicht von Beginn seines Studiums an eine Musikerkarriere angestrebt hat, verdankte er dem Widerstand seines Vaters, der offensichtlich von der Brotlosigkeit einer solchen Existenz überzeugt war: „So habe ich Schulmusik mit Mathematik als Nebenfach studiert“. Was in Stuttgart durchaus in Stress ausarten konnte, hetzte er doch zwischen Musikhochschule, intensivem Geigenüben und Vorlesungen an der über eine halbe Stunde entfernt liegenden Universität häufig hin und her.

Foto: Sebastian Seibel

Aber die intensive Beschäftigung mit der Musik habe ihn nicht losgelassen. „Während meines Schulmusikstudiums habe ich auch noch die Kapellmeisterklasse besucht“, sagt Wallinger, der zudem auch in Tübingen noch Musikwissenschaft studiert hat. Wichtige Impulse erhielt er aber außerhalb der Hochschule: Als der legendäre Sergiu Celibidache zum SWR-Rundfunkorchester nach Stuttgart kam, gab es für einen ausgewählten Kreis nach den Orchesterproben Unterricht. Wobei, wie Wallinger schildert, Fragen über Schlagtechnik oder ähnlichem für den großen Rumänen nicht zur Diskussion standen. „Es ging ihm um die Arbeit am Klang“.

Dies habe man besonders in den Proben, denen man beiwohnen durfte, auch ganz praktisch erfahren. „Wie hier in die Tiefe gegangen wurde, hat sich bei mir im Gedächtnis eingegraben“. Dass Celibidache schwierig gewesen sei, seine ihm oft sehr ergebenen Schüler vor den Kopf gestoßen habe, erläutert Wallinger an einem Beispiel: Einmal habe der große Dirigent einen spanischen Lieblingsschüler, den er als Dirigent in einem Konzert gehört habe, nach vielen Jahren der Zusammenarbeit einfach aus dem Unterricht hinausgeworfen, weil dieser nach Celibidaches Meinung „musikalisch alles nur“ imitiert habe.

Nach der Stuttgarter Zeit wurde das Gymnasium in Bietigheim und die aus dem Unterrichten resultierende Gründung der Sueddeutschen Kammersinfonie Bietigheim für lange Zeit das Zentrum seiner Aktivitäten. „Inzwischen sind rund 80 meiner früheren Schüler Berufsmusiker geworden“ sagt Wallinger nicht ohne Stolz, die bekannteste wohl die Geigerin Ursula Schoch (heute Konzertmeisterin am Concertgebouw Orchester Amsterdam), die immer wieder als Solistin bei ihm auftritt. „Die Kammersinfonie entstand aus dem Wunsch von Schülern, die in meinem Schulorchester gespielt hatten, auch während des Studiums mit mir zu musizieren“. Inzwischen ist das Ensemble ein hochprofessionelles Projektorchester, bei dem an den ersten Streicherpulten beispielsweise das Lotus-String Quartett sitzt.

Aber auch bei den Bläsern kann Wallinger sich auf erstklassige Musiker aus den großen Stuttgarter Orchestern verlassen, die sich, wenn möglich, die Termine der Sueddeutschen Kammersinfonie Bietigheim freihalten würden. Gastdirigate führen Wallinger inzwischen vor allem nach Osteuropa. „Den Kontakt zum Rundfunkorchester Bukarest hat eine Geigerin vom Stuttgarter Staatsorchester ermöglicht“. In Rumänien arbeite er zudem gerne mit der Philharmonie in Klausenburg zusammen, aber auch in der Slowakei stand er schon am Pult wie bei der Slowakischen Sinfonietta Zilina. 

Dass er nicht noch häufiger dort dirigieren könne, läge auch daran, dass er keine Gegeneinladungen für die Orchester nach Deutschland aussprechen könne, wie dies immer wieder gewünscht würde. Hier gäbe es einfach keinen Markt für die teilweise beachtlich guten Orchester.

Dennoch ist Wallinger mit der augenblicklichen Situation nicht unzufrieden, auch mit der positiven Weiterentwicklung in Lienzingen, aber auch der Konzertreihe in Mühlacker. „Die Resonanz ist sehr gut“. Problematisch sei aber die Podiumssituation im Uhlandbau in Mühlacker. Der den Klang stark dämpfende Vorhang hinter dem Orchester müsse unbedingt entfernt werden, ist einer der Wünsche Wallingers, der nur ganz selten mit leichter Wehmut an seine Zeit als Musiklehrer zurückdenkt.

Thomas Weiss



04.01.2011, Pforzheimer Zeitung

Musikalischer Hochgenuss zum Jahreswechsel

Nach einigen Jahren gastierte die Mährische Philharmonie Olomouc wieder bei einem Silvesterkonzert in Pforzheim und bewies unter dem Dirigenten Peter Wallinger erneut ihr Können. Mit dem Vorspiel zu „Carmen“ von Georges Bizet, bei dem das Orchester allerdings auf die letzten 28 Takte mit der tragischen Überleitung zum 1. Akt verzichtete, begann der Abend rhythmisch und schwungvoll. Edgar Wipf geleitete mit Kommentaren, Erläuterungen und kleinen Anekdoten durch die Stücke, die musikalisch durch ganz Europa führten. Leider war er einige Male nicht so gut zu verstehen.

Nach dem Auftakt, bei dem ein Franzose einer spanischen Zigeunerin ein musikalisches Denkmal setzte, folgte ein russischer Komponist mit seinen Eindrücken aus Italien: das „Capriccio Italien“, auf Grund dessen Peter Tschaikowski in seiner Heimat von einigen Kollegen „Verwestlichung“ in der Komposition vorgeworfen wurde. Das Orchester ließ sich dadurch aber keineswegs beeinflussen und überzeugte mit einer klaren und durchsichtigen Interpretation und sehr schönen Bläsereinsätzen. Dafür gab es im nicht ganz besetzten Saal großen Applaus. Nach einer kleinen Abschweifung und verschiedenen Wortspielen zu Hermann Hesse, Bert Brecht, Albert Lortzing und Felix Magath – auch Fußballtrainer sagen manchmal Erwähnenswertes – kündigte Edgar Wipf „Playful Pizzicato“ aus der „Simple Symphony“ des Engländers Benjamin Britten an, „geigenhalsbrecherisch“ gespielt, und so war es auch. In einem schönen Tempo, aber immer klar und deutlich zupften die Musiker den nicht einfachen Satz.

Foto: Wacker

Die musikalische Rundreise durch Europa setzte sich fort mit einem temperamentvollen Stück aus der Heimat des Orchesters, „Furiant“ aus den slawischen Tänzen des tschechischen Komponisten Antonin Dvonik. Der nächste größere Abschnitt gehörte einem Italiener in Frankreich: Rossini komponierte nach einer deutschen literarischen Vorlage (Schiller) eine Oper in französischer Sprache über einen Schweizer Nationalhelden „Guillaurne Tell“. Da das Stück sehr lang und auch schwierig für die Sänger ist, kommt heutzutage meistens nur die Ouvertüre zur Aufführung. Mit der rezitativartigen Eröffnung durch die Violoncelli, weiteren lyrischen Passagen für Englischhorn und Flöte und dem Allegro vivace ist sie für jedes Orchester ein Glanzstück. Peter Wallinger ließ seine Musiker die ruhigen Teile frei ausspielen und übertrieb das Tempo beim Vivace nicht. So entwickelte sich eine homogene und klangschöne Wiedergabe, die mit viel Beifall bedacht wurde.

Nach dem Abstecher zum „Hügel der Trolle“ in Norwegen mit Edvard Griegs „Hochzeitstag auf Troldhaugen“ erzählte Edgar Wipf von einer Beobachtung des Obervogts von Pforzheim. Jener berichtete 1594 über ein Tanzvergnügen mit Aufforderung zum Tanz, Vortanz und Nachtanz. So leitete er zum „Ungarischen Tanz Nr.5“ von Johannes Brahms über, bevor der sehr subtil gespielte Strausswalzer „An der schönen blauen Donau“ das Programm beschloss. Es gab viel Applaus und das Publikum war erst zufrieden, als mit der zweiten Zugabe der unvermeidliche „Radetzkymarsch“ gegeben wurde.

Christian Henrich



04.01.2011, Mühlacker Tagblatt

Orchester zeigt seine Vielseitigkeit

Mährische Philharmonie Olomouc begeistert ihre Zuhörer. Das tschechische Orchester hat bei seinem Silvesterkonzert in Pforzheim unter der Leitung des Dirigenten Peter Wallinger erneut seine enorme Vielseitigkeit bewiesen.

Mit dem Vorspiel zu „Carmen“ von Georges Bizet, bei dem das Orchester allerdings auf die letzten 28 Takte mit der tragischen Überleitung zum ersten Akt verzichtete, begann der Abend äußerst rhythmisch und schwungvoll. Dr. Edgar Wipf führte mit Kommentaren, Erläuterungen und kleinen Anekdoten durch die Stücke, die musikalisch in ganz Europa wurzeln.

Nach dem Auftakt folgte ein russischer Komponist mit seinen Eindrücken aus Italien: das „Capriccio Italien“. Das Orchester überzeugte mit einer klaren und durchsichtigen Interpretation und sehr schönen Bläsereinsätzen. Dafür gab es im nicht ganz besetzten Saal großen Applaus. Nach verschiedenen Wortspielen zu Hermann Hesse, Bert Brecht, Albert Lortzing und sogar zu Felix Magath kündigte Wipf „Playful Pizzicato“ aus der „Simple Symphony“ des Engländers Benjamin Britten an. „Geigenhalsbrecherisch“ nannte er die Komposition, die vom Orchester souverän zu Gehör gebracht wurde. Die Musiker zupften den nicht einfachen Satz immer klar und deutlich in einem schönen Tempo. Die musikalische Rundreise durch Europa setzte sich mit einem temperamentvollen Stück aus der Heimat des Orchesters fort, „Furiant“ aus den slawischen Tänzen des tschechischen Komponisten Antonin Dvorák. Der nächste größere Abschnitt gehörte einem Italiener in Frankreich. Gioachino Rossini komponierte nach einer deutschen literarischen Vorlage Schillers eine Oper in französischer Sprache über einen Schweizer Nationalhelden: „Guillaume Tell“. Da das Stück sehr lang und auch schwierig für die Sänger ist, kommt heutzutage meistens nur die Ouvertüre zur Aufführung. Mit der rezitativartigen Eröffnung durch die Violoncelli, weiteren lyrischen Passagen für Englischhorn und Flöte und dem Allegro vivace ist sie für jedes Orchester ein Glanzstück. Peter Wallinger ließ seine Musiker die ruhigen Teile frei ausspielen und übertrieb das Tempo beim Vivace nicht. So entwickelte sich eine homogene und klangschöne Wiedergabe, die mit viel Beifall bedacht wurde. Nach dem Abstecher zum „Hügel der Trolle“ in Norwegen mit Edvard Griegs „Hochzeitstag auf Troldhaugen“ erzählte Wipf von einer Beobachtung des Obervogts von Pforzheim. Jener berichtete 1594 über ein Tanzvergnügen – womit die Überleitung zum „Ungarischen Tanz Nr. 5“ von Johannes Brahms kein Problem mehr war. Der sehr subtil gespielte Strausswalzer „An der schönen blauen Donau“ beschloss das Programm. Es gab viel Applaus, und das Publikum war erst zufrieden, als mit der zweiten Zugabe der unvermeidliche „Radetzkymarsch“ gegeben wurde.

Christian Henrich



02.01.2011, Pforzheimer Zeitung

Klangaromen mit Suchtgefahr

Beschwingt und fröhlich ist das Jahr 2010 im CongressCentrum Pforzheim (CCP) am Silvesterabend mit der Mährischen Philharmonie Olomouc unter der Leitung von Peter Wallinger ausgeklungen. Bereits zum 18. Mal wurde in der Goldstadt am letzten Abend eines Kalenderjahres ein musikalisches Feuerwerk gezündet, wobei die jüngste „Rundreise durch Europa“, so der Untertitel des Programms, wieder von zahlreichen Klassik-Hits geprägt war.

Kraftvoll und dynamisch gestaltete das Orchester gleich die Eröffnung des Konzertes mit der Ouvertüre zu George Bizets einstiger Skandaloper „Carmen“. Mit viel Temperament entführten die Musiker das Publikum zu Beginn dieser klirrend kalten Silvesternacht nach Spanien, bevor die Reise mit Pjotr Illijtsch Tschaikowskys „Capriccio Italien“ gen Süden fortgesetzt wurde. Dass die Musikliebhaber Tschaikowskys Capriccio ebenso goutieren, wie Feinschmecker hauchdünn geschnittenes Carpaccio, wie es Moderator Edgar Wipf formulierte, zeigte der Beifall, mit dem das 1880 geschriebene Werk bedacht wurde. Denn die laut Wipf mit „Suchtgefahr dargebotenen Klangaromen“ kamen in ihrer ganzen Fülle bei den Zuhörer an, die gespannt und versonnen dem Orchester lauschten. Schade, dass von der angekündigt vorwitzig-hintersinnigen Moderation an diesem Abend nicht viel zu spüren war. Zwar lieferte Edgar Wipf eine Vielzahl wertvoller Informationen zu den Werken, deren Entstehung und den Beziehungen der musikalisch so klangvoll vorgestellten Komponisten, weniger wäre aber mehr gewesen. Anstelle der wortreichen Überleitungen zwischen den Musikstücken hätte sich manch Zuhörer lieber ein zusätzliches Orchesterwerk gewünscht.

Ob Johannes Brahms Ungarischer Tanz Nr. 5, Antonin Dvoráks Slawischer Tanz Nr. 8 „Furiant“, ob Edvard Griegs „Hochzeitstanz auf Troldhaugen“: Ebenso wie in Tschaikowskys „Capriccio Italien“ blitzten auch in diesen Kompositionen die volkstümlichen Einflüsse auf und offenbarten die Kraft der Musik, die auch Rossini mit seiner letzten Oper Wilhelm Tell eingefangen hatte. Auch deren Ouvertüre hatten die mährischen Musiker im Gepäck und führten mit ihr eindrucksvoll die Stimmungsvielfalt der einzig großen französischen Rossini-Oper vor Ohren.

Dass zum Jahreswechsel freilich auch Strauß nicht fehlen durfte, ist klar. Mit dem Walzer „An der schönen blauen Donau“ setzte die Mährische Philharmonie Olomouc unter der Leitung von Peter Wallinger den offiziellen Schlusspunkt im Dreivierteltakt, bevor dann zum großen Finale auch noch zweimal der von Johann Strauß Vater komponierte Radetzkymarsch durch den großen Saal des CongressCentrums schallte.

Wallinger setzt dabei auch dem üblicherweise in Klassikkonzerten verpönten Mitklatschen nichts entgegen. Im Gegenteil: Der Dirigent und die Mitglieder der Mährischen Philharmonie Olomouc freuten sich über die Begeisterung des Publikums.

Ralf Recklies