Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim gastiert mit originellem Programm in Murr

Musik aus allen Himmelsrichtungen Europas präsentierte die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim beim Neujahrskonzert. Foto: Benjamin Stollenberg

Murr. „Obwohl Europa jetzt im Winter liegt – vielleicht auch im übertragenen Sinne – , verbinden wir mit dem Titel unseres Konzerts die Hoffnung und Gewissheit, dass auch wieder ein Frühling kommt“, so begrüßte Johann-Michael Schneider die knapp 200 Besucher zum Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) im Bürgersaal des Murrer Rathauses. Unter dem Motto „Europäischer Frühling“ hatte Peter Wallinger ein hochoriginelles rund 80-minütiges Programm zusammengestellt. Das verschränkte Musik des 20.Jahrhunderts von vier europäischen Komponisten aus allen vier Himmelsrichtungen kunstvoll mit kurzen Texten jeweiliger Landsleute. Die Texte wurden von Schneider zwar nicht frei, dafür aber sehr lebhaft vorgetragen.

Mit Elias Canettis leicht spöttischer Beschreibung der Rezeptionshaltung klassischer Konzertbesucher („Die Menschen sitzen regungslos da , als brächten sie es fertig, nichts zu hören“) und der daraus folgenden Beschreibung des Beifallklatschens als Tauschhandel („ein chaotischer, kurzer Lärm für einen wohlorganisierten, langen“) war ein launiger Tonfall etabliert. Schwungvoll, vielleicht zu schwungvoll steigt Wallinger in das „Boisterous Bourrée“, den ersten Satz der „Simple Symphony“ (op.4) ein – in hohem Bogen fliegt der Taktstock durch die Luft. Der Dirigent eilt schmunzelnd hinterher.

Zwischen drei Sätzen aus Benjamin Brittens ursprünglich für Schulorchester geschriebenes Werk rezitierte Schneider kurze Reflexionen von Wystan Hugh Auden, der für Britten auch als Librettist tätig war, über die Natur des Geheimnisvollen und die Beschaffenheit der Liebe.

Stricher glänzen durch dynamische Finesse

Die 17 Streicher der SKB glänzten durch geschmeidigen Ensembleklang und dynamische Finesse: Wundervoll ihr Dialog von Violinen, Bratschen, Celli und Kontrabässen im „playful Pizzicato“, das – nomen est omen – ausschließlich aus gezupften Tönen besteht. Scharf konturiert Konzertmeisterin Sachiko Kobayashi die Kantilene des „Frolicsome Finale“, bevor die Bewegung des Themas wie ein Wogen durch das Halbrund der Musiker läuft.

Von Westen aus geht’s gen Norden: Ausgesprochener Klangwitz prägt das Orchesterwerk „Pelimannimuotokuvia“ (op. 26; auf Deutsch: Bilder der Spielleute) des finnischen Komponisten Pehr Henrik Nordgren, formidabel umgesetzt durch die Musikerinnen und Musiker der SKB. Ihr astraler Streicherklang in „Tuumiskelija“ (übersetzt: Der Grübler) trifft einen tief im Innersten.

So berührend wie der Auszug aus Elio Vittorinis „Gespräche in Sizilien“ geraten auch die „Arie di corte“ aus der III. Suite Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Arie“.

Zum Abschluss des Konzerts geht es aus dem südlichen Italien in den Osten: Expressiv und poetisch, mit rustikalem Strich gezeichnet, die „Rumänischen Volkstänze“, die Béla Bartók 1905 in Siebenbürgen mithilfe eines Phonographen dokumentiert hat. 330 Küsse im Tunnel – als Rückerstattung für die 330 türkischen Lehnwörter im Ungarischen – krönen die Geschichte aus Dezsö Kostolányis „Ein Held seiner Zeit“.

Einziger Wermutstropfen: Die vorzügliche Vorstellung des hervorragenden, in diesem Fall tendenziell kammermusikalisch disponierten Orchesters endete ohne Zugabe.

Harry Schmidt

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