Seit über drei Jahrzehnten bereichert Peter Wallinger mit seiner Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim die Klassikmusiklandschaft der Region. Ein Gespräch mit dem Maulbronner Dirigenten über prägende Erfahrungen, Klangideale und Zukunftspläne.

BIETIGHEIM-BISSINGEN. Vor 35 Jahren gründete Peter Wallinger mit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim ein Orchester, dessen Name mittlerweile weit über die Region hinaus einen außerordentlich guten Klang besitzt. Fünf- bis sechsmal im Jahr versammeln sich bis zu 40 Musikerinnen und Musiker um den 1950 in Mühlacker geborenen Dirigenten. Die Qualität des Projektorchesters hat sich herumgesprochen – längst sind Auftritte wie ihre Neujahrskonzerte in Bietigheim, Mühlacker und Murr zu Konstanten im Veranstaltungskalender musikinteressierter Kreise geworden. Auch die am Wochenende in Sachsenheim und Lienzingen anstehenden „Sommerlichen Serenaden“ haben Tradition. Wir haben uns im Vorfeld mit dem rührigen Kapellmeister unterhalten.

Herr Wallinger, was hat dazu geführt, dass Sie Dirigent geworden sind?
PETER WALLINGER: 
Musik war von Kindesbeinen an meine Leidenschaft. Meine Eltern waren Musikliebhaber, aber keine Musiker. Schon in der Schulzeit ging ich meine ganz eigenen Wege, lernte Geige und Klavier. Als ich nach einem recht guten Abitur Musik studieren wollte, war mein Vater nicht besonders glücklich darüber. Aber mein Entschluss, dass es für mich nur die Musik gibt, stand früh fest. Ich hatte damals gar nicht vor, unbedingt Dirigent zu werden; die Musik hat mich erst mal in ihrer gesamten Breite interessiert. Nachdem ich in Stuttgart das Studium der Schulmusik und Mathematik relativ schnell absolviert hatte, habe ich die Kapellmeisterklasse bei Professor Thomas Ungar besucht und mich parallel dazu für Musikwissenschaften in Tübingen eingeschrieben.

Welche einschneidenden Erfahrungen aus dieser Zeit klingen bis heute nach?
Das waren vor allem die Dirigierkurse von Sergiu Celibidache, als er in den Siebzigerjahren nach Stuttgart kam. Während der Zeit, als Celibidache das RSO Stuttgart leitete, habe ich regelmäßig daran teilgenommen. Obwohl ich kein hundertprozentiger Fan gewesen bin, waren das doch ausgesprochen prägende Erlebnisse. Celibidache hatte eine enorme Aura. In diesen Kursen hat er seine Jünger um sich geschart und eigentlich mehr philosophiert als dirigierpraktische Arbeit geleistet. Dort war ich einer der wenigen, die auf diesem Gebiet bereits erste Erfahrungen gemacht hatten. Am meisten habe ich davon profitiert, bei den Proben zuzuhören: Wie nuanciert er mit Streichern und Bläsern geschliffen hat, um einen möglichst homogenen Klang zu erzielen, an Feinheiten wie Vibrato und Agogik gearbeitet hat – das war wirklich beeindruckend. Er war allerdings auch sehr autoritär, hat Musiker und Schüler vor der ganzen Mannschaft abgekanzelt – das war absolut nicht nach meinem Geschmack. Aber er war ein echter Klangmagier.

Was war sonst noch prägend für Ihre Klangauffassung?
Es gab seinerzeit an der Stuttgarter Hochschule ein Ensemble für Neue Musik, unter Professor Erhard Karkoschka, der seinerzeit Komposition unterrichtet hat. Dort habe ich zwei Jahre als Geiger mitgewirkt, in kleiner Besetzung wurden viele Uraufführungen realisiert. Das war manchmal ganz schön anstrengend – etwa wenn man stundenlang nur geräuschhafte, wenn auch sehr raffinierte Klänge erzeugt –, aber für mich eine un- gemein interessante, sehr wertvolle Er- fahrung. Auch die Zeit als Bratscher im Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Wolfgang Gönnewein möchte ich nicht missen: 1988 habe ich an der legendären Inszenierung des „Frei- schütz“ mit Loriot mitwirken dürfen, war bei Orchesterreisen nach China oder zum Schleswig-Holstein Musik Festival dabei.

Auch als Musikerzieher am Bietig- heimer Ellentalgymnasium haben Sie einiges bewirkt. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Lehrtätigkeit?
Neben Orchesterreisen mit dem Schulorchester unter anderem nach Frankreich und Italien war eine der Sternstunden die Aufführung von Beethovens Streichquartett Nr. 4 mit der damals zwölfjährigen Ursula Schoch als Primgeigerin. Rund 80 ehemalige Schülerinnen und Schüler aus dieser Zeit haben ihren beruflichen Weg zur Musik gefunden.

Welche Klangvorstellungen verfolgen Sie mit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim, die Sie 1984 gegründet haben?
Große sinfonische Werke in reduzierter Besetzung zu spielen, ist schon mein Ideal, weil damit ein viel größeres Augenmerk auf Artikulation und Differenzierung einhergeht. Jede Phrasierung, jeder Ton muss bewusst gestaltet werden. Bei 100-köpfigen Sinfonieorchestern, wie ich sie auch dirigiert habe, geht es um die große Fläche. Aber mit einem Ensemble wie der Kammersinfonie geht es um das Innenleben der Musik. Und natürlich ist jeder einzelne Musiker dabei in höchstem Maße gefordert. Ich glaube auch, dass man mit einem kleinen Orchesterapparat dem Originalklang, den sich die Komponisten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts vorgestellt haben, viel näher kommt.

Welchen Leitgedanken folgen Sie bei der Programmgestaltung?
Es gibt kein Prinzip, wichtig ist die Stimmigkeit der Konzeption. Mal stehen Kontraste im Vordergrund, mal mehr die Idee des Brückenschlags, wobei für mich oftmals Tonarten und Tonartenverhältnisse maßgebend sind. Dann geht es wieder um außermusikalische Themen, die sich in der Musik unterschiedlich spiegeln.

Für das anstehende Sommerkonzert kombinieren Sie Benjamin Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streicher (Op. 31) mit Dvoráks E-Dur-Serenade (Op. 22) und Schuberts „Arpeggione“- Sonate (D 821). Von welchen Überlegungen haben Sie sich dabei leiten lassen?
Diese zwei Serenaden wollte ich schon immer mal zusammenbringen. Von der Atmosphäre her sind beide durchaus ähnlich, und doch besitzt jede eine eigene Charakteristik, auch weil sie aus verschiedenen Epochen stammen. Mit dem jungen lyrischen Tenor Kai Kluge und dem Solohornisten Reimer Kühn, beide von der Staatsoper Stuttgart, konnte ich zwei exzellente Solisten für die Britten-Serenade gewinnen. Und mit der „Arpeggione“-Sonate – ein Traum für jeden Cellisten, den bei uns Chihiro Saito, die Cellistin des Lotus String Quartetts, realisieren wird – möchte ich einen mehr intimen, romantischen Akzent setzen.

Wie bereiten Sie sich auf so eine Aufführung vor?
Oft ziehe ich mich in mein Refugium im Berner Oberland zurück. Auf fast 2000 Meter Höhe betreibt ein befreundetes Paar einen Berggasthof, dessen Gesindestube mir jederzeit offensteht. Diese Abgeschiedenheit wirkt sehr inspirierend auf mich. Auch viele Programmideen entstehen dort oben in Gletschernähe.

Harry Schmidt

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