Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim und Tjeerd Top im Kronenzentrum

BIETIGHEIM-BBISSINGEN. Traditio­nell feiert das Frühjahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) im Kro­nenzentrum seine Premiere, anderntags wird das Programm im Uhlandbau in Mühlacker wiederholt und aufgezeichnet. Wie bereits 2022 wird das Konzert komplett von Simon Wallinger dirigiert, diesmal allerdings vor allem, weil sein Vater Peter Wallinger, der die SKB 1984 gegründet hat, durch die nahezu zeitgleich stattfindenden Schulkonzerte gebunden war.

Tjeerd Top ist für Freunde der SKB kein Unbekannter, bereits mehrfach hat der erste Konzert­meister des Königlichen Con­certgebouw Orchester Amsterdam mit dem renommierten Klangkörper zusammengearbeitet. Genau genommen hat er den Anstoß zu diesem Programm gegeben, indem er vor zwei Jahren Mieczyslaw Weinbergs „Concer­tino für Violine und Streichorchester“ (Op. 42) einbrachte. Daraus ist der Plan entstanden, alle vier Kammersinfonien des polnischen Komponisten und Schos­takowitsch-Weggefährten aufzu­führen. Den Auftakt des Weinberg-Zyklus bildete nun die Kammersinfonie Nr. 3 (Op. 151) von 1991, deren vier Sätze nach der Pause zu Gehör kamen.

Angeregt durch deren in Teilen spätromantische Klangsprache hat Simon Wallinger für die erste Hälfte eine Art Gegenpol konzipiert, der den Beginn der Romantik in den Fokus rückt. Trotz seines ungeklärten Entstehungs­zusammenhangs ist das Frag­ment gebliebene „Violinkonzert C-Dur“ (WoO 5) von Ludwig van Beethoven, vermutlich zwischen 1790 und 1792 entstanden, alles andere als eine Fingerübung: In seiner dramatischen, von vielen Generalpausen zerklüfteten Entwicklung, den Dialogen mit dem Orchester, insbesondere mit den Bläsern, ist bereits der komplette Beethoven voll ausgeprägt erkennbar. Top spielt die Vervollständigung der 259 überlieferten Takte durch Josef Hellmesberger (1879) auf einer Stradivari von 1713, virtuos und inspiriert in einem ungemein schlanken, honigtaufarben singend hellen Instrumentalklang.

Wallinger sucht nicht die große Geste, ist eher ein Mann kleinteiliger Präzision und bettet Tops Kantilenen behutsam wie eine Singstimme, wobei er dem Ensembleklang der SKB eine geradezu sinfonische Tiefe entlockt. Als langsamer „Mittelsatz“ folgt Beethovens „Romanze F­ Dur“ (Op.50) – klar, dass eine solche trotz aller gebotenen zärtlichen Poesie bei Beethoven nicht ohne Pathos abgeht. In Sachen emotionaler Affirmation und Ge­mütsbewegung steht der Titan der Wiener Klassik hier mit einem Bein eben schon in der Ro­mantik, die – aus Gedanken wer­ den Gefühle – mit Franz Schuberts „Polonaise B-Dur“ (D 580) dann schon fast erreicht ist. Für den Beifall bedankt sich Top mit einem Wiegenlied der Red Hot Chili Peppers, „Porcelain“ ver­blüfft durch mit der Griffhand ausgeführte Pizzicati.

Für Weinbergs dritte Kammer­sinfonie teilt Top sich das erste Pult der ersten Geigen mit Swantje Asche-Tauscher, Wallin­gers Interpretation dieser wundervoll introvertierten, wie durch das 20. Jahrhundert hindurchgegangenen Musik ist höchst aufmerksam gegenüber ihrer Fragilität, auf der sprich­wörtlichen Stuhlkante musiziert das expressive Allegro molto. Bravos für Wallinger, Top und die SKB im leider nur mäßig besuch­ten Kronensaal. Diesem vorzüglichen Konzert wären weit mehr als die anwesenden 120  Besucher zu wünschen gewesen.­

Autor: Harry Schmidt

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