14.12.2023, Mühlacker Tagblatt
Stilsicher in Klassik und Moderne
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Die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ überzeugt bei ihrem Adventskonzert im Mühlacker Uhlandbau. Als Solistin glänzt die junge Pianistin Annika Treutler, die für ihre Mozart-Interpretation mit Beifall überschüttet wird.
Mühlacker. Vor vier Jahrzehnten hat Peter Wallinger die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim gegründet, die unter seiner künstlerischen Leitung zu einem hoch qualifizierten Klangkörper gereift ist. Zum Auftakt der Jubiläumssaison „40 Jahre Kammersinfonie“ fand am Sonntag im Uhlandbau das Adventskonzert statt.
Auf welch hohem Niveau das Ensemble heute musiziert, zeigten einmal mehr die klangprächtigen Interpretationen dieses Konzertabends in der Reihe „MühlackerConcerto“. Auf dem Programm standen Werke von Mozart und des lettischen Komponisten Peteris Vasks. Diese Kombination zwischen Klassik und Moderne fand großen Zuspruch bei den vielen Zuhörerinnen und Zuhörern, die den Saal fast füllten.
Der Beginn mit Mozarts Klavierkonzert Nummer 23 A-Dur KV 488 wurde ein berauschend schöner Höhepunkt. Schon die ersten Takte be- und verzauberten das Publikum. Am Steinway-Flügel saß Annika Treutler, eine der interessantesten jungen deutschen Pianistinnen. Nach ihrem erfolgreich absolvierten Musikstudium errang sie bei nationalen und internationalen Wettbewerben zahlreiche Preise, darunter 2020 den „Opus Klassik“ in der Kategorie „Konzerteinspielung des Jahres“. Gastspiele europaweit, die Zusammenarbeit auch mit internationalen Orchestern und seit 2018 eine Gastprofessur an der Hochschule für Musik in Berlin zeichnen ihre Laufbahn aus.
Von all diesen Meriten strahlte die Künstlerin auch etwas bei ihrem Auftritt im Mühlacker Uhlandbau aus, der dank seiner hervorragenden Akustik auch anspruchsvollem Musizieren genügt.
Das Klavierkonzert Nummer 23 hat Wolfgang Amadeus Mozart neben seiner Arbeit an der Oper „Die Hochzeit des Figaro“ komponiert. Bei genauem Hinhören lassen sich auch taktweise kleine Anklänge daraus im Klavierkonzert entdecken. Mit versierter Technik, dennoch mit hoher Sensibilität und mit tiefer Hingabe an das Werk interpretierte Annika Treutler die in ihrem Aufbau und Inhalt sehr differenzierten drei Sätze Allegro, Adagio und Allegro und wurde auf höchst beeindruckende Weise den Intentionen des Komponisten gerecht.
Vom Publikum für diese Darbietung mit kaum endendem Applaus gefeiert, kündigte Treutler eine Zugabe „aus dem kühlen Norden an, ein Impromptu von Sibelius“. Doch mit viel Herzblut erwärmte sie auch dieses Stück, wie schwere Tropfen fielen die letzten Töne, ehe nach einem Moment der Stille die Künstlerin erneut mit Beifall überschüttet wurde.
Der lettische Komponist Peteris Vasks, geboren 1946, hat eine „Musica Adventus“ geschrieben. Daraus stimmte nun die Kammersinfonie das „Moderato“ an – ein wahres Kontrastprogramm zum eben Gehörten, das wie der Eintritt in eine andere musikalische Welt anmutete. Beginnend mit hauchzarten Flageolett-Tönen, gezupften und mit Bogenholz erzeugten Klängen, folgten wenige warme Basstöne, und erneut wurde gezupft und geklopft... Angespannt hatten die Zuhörer gelauscht und klatschten nun begeistert Beifall. „Die Wiedergabe war beeindruckend, das anfängliche Suchen war eine Hinführung zum Advent, drückte Hoffnung aus, wie auch einige eingefügte Takte eines Weihnachtsliedes deutlich machten“, umriss Zuhörer Ernst Fischer seine Empfindungen.
In der Pause wurde der Flügel beiseite geräumt, denn nun trat die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim in großer Besetzung auf und führte mit Mozarts Sinfonie Es-Dur KV 543 die Besucher mit Pauken und Trompeten zurück zur Klassik. Die 1788, drei Jahre vor seinem Tod komponierte Sinfonie ist in allen drei Sätzen ein Werk voller Gegensätze. Ein Adagio mit einem Paukenschlag als Auftakt, das nach etlichen markanten Klangfolgen in sanfte Gleise führte, um wenige Takte später erneut fortissimo aufzutrumpfen. Die Oboe hatte der Komponist gestrichen, Flöte und zwei Klarinetten dominierten wiederholt, ehe nach Paukenwirbeln die Streicher das Zepter übernahmen.
Wie in einem koketten Frage- und Antwortspiel agierten im zweiten Satz Andante con moto Bläser und Streicher miteinander in unerwartet derbem Stil, als gäbe es etwas zu verteidigen, ehe sich die Klarinetten mit heiteren Klängen Gehör verschafften. Den fulminanten Schlusspunkt setzte im dritten Satz das Menuetto mit einem virtuosen Finale, in dem sich alle Stimmen vereinten. Nur gelegentlich vermochten Moll-Klänge die lichte Es-Dur-Stimmung zu verdunkeln.
Hatten die Musikerinnen und Musiker schon durch ihre einfühlsame Begleitung der Pianistin den Zuhörern einen ersten Eindruck von dem breiten Spektrum ihrer Fähigkeiten vermittelt und mit der Vasks-Interpretation diesen Eindruck noch verstärkt, so schöpfte das Ensemble bei seiner Interpretation der Mozart-Sinfonie alle Facetten des kraft- und machtvollen Musizierens, aber auch des Innehaltens aus. Im Decrescendo ging es zurück zu den Quellen, hinab in emotionale Tiefen. Peter Wallinger wusste mit seinem Dirigat zielgenau die Vorgaben der beiden Komponisten zu vermitteln, und seine Kammersinfonie folgte ihm auch auf den geringsten Fingerzeig.
Der Uhlandbau bebte beinahe unter den Begeisterungsstürmen der Zuhörerinnen und Zuhörer. Schöner und gelungener, aber auch vielversprechender hätte der Jubiläumsauftakt nicht sein können.
Autorin: Eva Filitz
weniger14.12.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Mit geschmeidiger Eloquenz im Spiel
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Bei den Adventskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim konnte man die junge Berliner Pianistin Annika Treutler kennenlernen. Die 33-Jährige verfügt über ein außergewöhnlich nuanciertes Gestaltungsvermögen.
BIETIGHEIM-BISSINGEN/MÜHLACKER. Gut eine Dekade lang hat Sachiko Kobayashi mit selten unterbrochener Regelmäßigkeit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) als Konzertmeisterin ein Gesicht gegeben und das Profil des 1984 von Peter Wallinger gegründeten Orchesters in dieser Ära mitgeprägt. Nachdem die japanische Violinistin, ihres Zeichens auch Primaria des Stuttgarter Lotus Quartetts, in den vergangenen zwei Jahren kürzer getreten hat, war ihre Rückkehr ans erste Pult der ersten Violinen für nicht wenige der Zuhörer ein überraschendes Wiedersehen mit einer hochgeschätzten Musikerin.
Treues Publikum aufgebaut
Mit der Reihe Mühlacker Concerto trägt der 73-jährige Dirigent Wallinger seit langem einen nicht unwesentlichen Baustein zum kulturellen Leben von Mühlacker bei, dementsprechend hat sich die SKB hier ein treues Publikum aufgebaut.
Eine Premiere dürfte indes für die meisten die Begegnung mit Annika Treutler gewesen sein: Zwar wurde die Berliner Pianistin bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2020 mit dem „Opus Klassik“ für die „Konzerteinspielung des Jahres“, doch die Gelegenheiten, Treutler bei Auftritten in Süddeutschland zu erleben, waren bislang eher rar gesät. Abhilfe schaffte ihr Debüt als Solistin der SKB bei den Adventskonzerten des Orchesters - das Programm wurde zuvor im Bietigheimer Kronenzentrum präsentiert -, die zugleich die Jubiläumssaison zum 40-jährigen Bestehen des Ensembles einläuteten.
In Mozarts 1786 komponiertem Klavierkonzert A-Dur (KV488) konnte man eine nachgerade ideale Interpretin dieses Schlüssel- und Gipfelwerks seiner Gattung kennenlernen. Mit erlesenem Rubato gestaltet die 33-Jährige ihre Solopassagen im Allegro-Kopfsatz, vollzieht die vielgestaltigen Gedanken der Mozart'schen Klangrede nicht nur pianistisch auswendig, sondern auch sehr beredt in ihrer Mimik nach. Eine im Wortsinn geschmeidige Eloquenz, eine superb geschliffene Klangkultur prägt ihr Spiel, die von Mozart hier erstmals auskomponierte Kadenz wächst zu einem atemberaubenden Ohrenspitzer. Das folgende Siciliana-Adagio unterstreicht, dass die empfindliche Musik Mozarts bei Treutler nicht nur in besten Händen ist; in den nuancenreichen Variationen spricht der gesamte Körper der Pianistin mit. Exquisit dann das finale Kehraus-Rondo, in dessen buffoneskem Charakter sich auch die zeitliche Nähe zu „Le nozzo de Figaro" äußert, durchgehend exzellent die Einbettung durch Wallinger und die SKB. Für den enthusiastischen Beifall und Bravorufe bedankt Treutler sich mit dem Impromptu No. 5 von Jean Sibelius.
Ungeheuer eindringlich im Anschluss das „Moderato“ aus Pēteris Vasks’ „Musica adventus“, Wallinger lässt die nordisch-kontemplative Musik atmen. Mit einer in ihrer Balance von kammermusikalischer Transparenz und orchestraler Sinfonik den zwischen barocken Rückbezügen und einer Vorschau auf die Romantik oszillierenden Gestus der Es-Dur-Sonfonie (KV 543) exakt treffenden Interpretation schließt sich nach der Pause der Mozart-Kreis des vorzüglichen Adventskonzerts. Das letzte Mal in der verdienstvollen Laufbahn SKB mit Peter Wallinger? Das lässt der Dirigent im Gespräch mit unserer Zeitung vorerst noch offen.
Autor: Harry Schmidt
weniger12.12.2023, Pforzheimer Zeitung
Sprühende Spielfreude im Uhlandbau
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Klangintensives Konzert der Reihe MühlackerConcerto
Mühlacker. Ein Mozart-Konzert vom Feinsten erfreute zum zweiten Advent bei der MühlackerConcerto-Reihe im Uhlandbau. Einleitend musizierten unter Peter Wallingers Leitung die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ und die renommierte Pianistin Annika Treutler das Klavierkonzert A-Dur (KV 488) von Wolfgang Amadeus Mozart, das Klassikfreunde wegen seines ausdrucksstarken Charakters schätzen. Besonders, wenn es so lebendig und klangintensiv aufgeführt wird, wie in Mühlacker.
Die anmutigen Melodien des ersten Satzes in A-Dur wurden als Inbegriff Mozart’scher Musik im argumentativen Wechselspiel zwischen Orchester und Solistin entfaltet, die kompositorischen Ideen und markanten Begleitfiguren mit musikalischer Eloquenz herausgearbeitet. Dunkel und tiefschürfend dann das anschließende, schmerzlich-zarte, sehr bedächtig vorgetragene Adagio in fis-Moll, wobei neben der mit hingebungsvoller Empathie spielenden Pianistin im Kern des Satzes die Bläserstimmen (Hörner, Flöte, Klarinetten, Fagotte) beeindruckten. Nach diesen Moll-Abgründen strahlte die mozartantisch-diesseitige Heiterkeit ungebrochen im temperamentvoll wieder-gegebenen Finale um so mehr. Begeisternd das unaffektiert-natürliche, unangestrengte Spiel der Solistin am Flügel, die charmant in einem langen Advents-Glitzerkleid agierte. Treutlers Interpretationsweise neigte eher zur Anmut als zur herausgestellten Bravour und changierte mit geschmeidigem Anschlag je nach Satzcharakter zwischen lyrischer Verinnerlichung und tempobewusst sprühender Spielfreude.
Dass sie die Klaviertasten auch mit hinreißender Virtuosität bedienen kann, stellte sie mit ihrer Zugabe, einem Impromptu von Jean Sibelius, unter Beweis.
Als Konzert-Scharnier, auch der Adventszeit geschuldet, fungierte Peteris Vasks „Musica adventus I“. Typisch für den lettischen Komponisten und Pastoren-Sohn gilt nach seinen Worten der Versuch, „aus Schmerz geboren ein Loblied auf Glaube und Liebe zu singen“. Das kurze Orchesterstück wirkte eisblumenkalt mit extrem leise gehauchtem Beginn und allmählichem musikalischen Aufblühen wie eine Illustration des Zitats.
Man sagt, Mozart habe seine Klaviermusik in intimen Momenten für sich selbst geschrieben. Die Sinfonien dagegen waren für publikumswirksame, große öffentliche Aufführungen bestimmt. Sicher auch seine Sinfonie Es-Dur (KV 543), die Wallinger mit seinem Ensemble, jetzt verstärkt durch „lärmende Instrumente“ (Pauken und Trompeten), nach der Pause aufführte. Das war beim Zuhören Klassik im besten Sinn: weder langweilig noch einschüchternd, sondern beglückend. Mit Klarheit und Verve führte der Dirigent durch die Partitur, fügte das vielgestaltige Themen-Material zu sinnfälliger Ganzheit und sorgte für strukturelle Geschlossenheit. Dirigent und Orchester blieben auch Effekten nichts schuldig, überraschende Akzente schnellten immer wieder hervor.
So war beispielsweise im 3. Satz das berühmte Klarinetten-Duo über dudelnder Tanzbegleitung mit seiner gemächlich sich wiegenden Ländler-Seligkeit so schön, dass es – vom Publikum herbeigeklatscht – als Zugabe wiederholt werden musste. Das Neujahrskonzert im Uhlandbau folgt am Sonntag, 14. Januar, 11 Uhr, mit Werken von Dowland, Purcell, Bach und Sibelius.
Autor: Eckehard Uhlig
weniger27.06.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Romantische Tendenz bei Barockevergreens
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„All'Italiana" hat Peter Wallinger die beiden „Sommerlichen Serenaden" der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim, in Sachsenheim und Lienzingen am Wochenende überschrieben. In zwei der vier Violinkonzerte von Antonio Vivaldis "Die vier Jahreszeiten" gab Maryana Osipova ihr umjubeltes Debüt als Solistin der SKB.
SACHSENHEIM/BIETIGHEIM/LIENZINGEN. Besser hätten die Bedingungen kaum sein können: Das aktuelle Hochdruckgebiet Cigdem sorgte dafür, dass die beiden als „Sommerliche Serenade" angekündigten Konzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) am vergangenen Wochenende zumindest dem ersten Teil des Formattitels vollumfänglich gerecht wurden: Mehr Sommer geht kaum. Dem entsprechend präsentierte sich der Innenhof des Sachsenheimer Wasserschlosses am Samstagabend komplett ausverkauft, gut besucht war auch die Matinee in der Lienzinger Frauenkirche tags darauf.
lm Vergleich zum trutzigen Turm der Peterskirche ragt deren schlanker Dachreiter wie ein Zahnstocher empor: Als Friedhofskapelle am Ortsrand hat die einstige Marienwallfahrtskirche den wechselhaften Lauf der Zeiten relativ unbeschadet überdauert - zur weitgehend im Originalzustand erhaltenen spätgotischen Bausubstanz gehört auch die auf 1482 datierte, mit einem Gebet, Ranken und Girlanden geschmückte Holzdecke des Tonnengewölbes über dem Kirchenschiff, die zu den bemerkenswerten akustischen Qualitäten des außerordentlich stimmungsvollen Raums nicht unwesentlich beiträgt.
Passgenau zur Hitzewelle hat Peter Wallinger zwei der als „Die vier Jahreszeiten" überaus bekannten Violinkonzerte auf den Spielplan gesetzt, in denen Antonio Vivaldi 1725 beredte musikalische Bilder für das Ansteigen der Temperaturen (und Temperamente) gefunden hat. Bravourös gestaltet Maryana Osipova das Vogelstimmgezwitscher im Kopfsatz von „Der Frühling" im Dialog mit Konzertmeisterin Swantje Asche-Tauscher und den weiteren 14 Musikerinnen und Musikern der SKB - die ungemein mitteilsame, konzise Körpersprache der in Moskau und Karlsruhe ausgebildeten Primgeigerin des Frankfurter Eliot Quartetts habe ihn dazu bewogen, hier auf ein Dirigat zu verzichten, so der Orchestergründer im Gespräch mit dieser Zeitung.
Nichts deutet indes darauf hin, dass dieses Konzert um ein Haar ausgefallen wäre: Akute Rückenbeschwerden zwangen die italienische Violinistin Rebecca Raimondi am Donnerstagabend, ihre Auftritte mit der SKB abzusagen. Binnen weniger Stunden war es Wallinger daraufhin gelungen, mit Osipova eine hinreichend qualifizierte Einspringerin für die erkrankte Solistin zu rekrutieren. Innig zelebriert die Russin das Frühjahrsschäferidyll im „Largo e pianissimo", ausgelassen den Hirtentanz im finalen „Allegro". Die Sommergewitterstretta im "Allegro non molto" entlockt einer einzelnen Besucherin einen wohltemperierten Jubelruf. Dass Osipova sich für den großen Beifall mit einer Reprise des Largos bedankt, unterstreicht eine zwar eher zwischen Wiener Klassik und Romantik zu verortende, aber dennoch reizvolle Tendenz in ihrer Interpretation dieser Barockevergreens.
Hellwach und hochkonzentriert musizierte Wallinger mit einer ausgezeichnet disponierten SKB auch den entsprechenden Rahmen des „All'ltaliana" überschriebenen Programms: Sowohl Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Arie" (1931) als auch Nino Rotas „Concerto per Archi" (2007) erklangen in nicht nur (weitestgehend) makelloser, sondern vor allem auch lebendig-inspirierter Wiedergabe. Bestechend insbesondere die Homogenität und Transparenz des Ensembleklangs in der neoklassizistisch-impressionistischen Partitur von Respighi, grandios gesteigert die „Siciliana", fulminant das Fortissimo-Crescendo der „Passacaglia". Wallingers Deutungen vereinen exquisites Formempfinden mit differenzierter, geistreicher Durchdringung des Materials zu einer stets originellen, frischen Lesart. Pauschalklangangebote gibt es ja ohnehin bereits mehr als genug.
Autor: Harry Schmidt
weniger26.06.2023, Pforzheimer Zeitung
Sommerfrisch-heiterer Serenaden-Ton
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Zweite Matinee beim „Musikalischen Sommer“ in der Lienzinger Frauenkirche
Mühlacker. Barocke Musikmeister statteten ihre für die höfische Unterhaltung bestimmten Kompositionen häufig mit einladenden Überschriften aus. In diesem Sinne „Ergötzliches“ bot auch die zweite Matinee des „Musikalischen Sommers“ in der Lienzinger Frauenkirche. Das Konzert mit Peter Wallingers Sueddeutscher Kammersinfonie Bietigheim zelebrierte den sommerfrisch-heiteren Serenaden-Ton, insbesondere mit der Wiedergabe des „Frühlings“ und des „Sommers“ aus Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ (op. 8 Nr. 1 und 2).
Nun ist dieser Konzert-Hit als Prüfstein für Sologeiger alles andere als eine Rarität. Anne Sophie Mutter begann damit ihre Karriere. Und der wild aufspielende Nigel Kennedy erzielte mit seinen „Jahreszeiten“ das meistverkaufte Klassikalbum aller Zeiten. Weit ab von solchem Star-Getöse leistete auch die in Lienzingen auftretende Violinistin und Primgeigerin des Eliot Quartetts, Maryana Osipova, die für die erkrankte Solistin Rebecca Raimondi eingesprungen war, mit ihrem erfrischend unkonventionellen Spiel Erstaunliches.
Weder romantisierende Gravität noch technische Rabiatheiten prägten Osipovas Interpretation. Stattdessen spürte man beim Zuhören den Frühling und den Sommer wie in einem impressionistisch hingetupften, fein differenzierten Farbenrausch. Ihr glänzend durchgestalteter Geigenton erzählte von Stimmungen und Befindlichkeiten, mit deutlichen Register-Brüchen beispielsweise von der lamentoreichen Hirtenklage über die sengende Mittagssonne und den befürchteten, folgenden Gewitter-Sturm im ersten Satz des „Sommers“. Die von der Solistin selbst angeleiteten Orchester-Ritornells sorgten mit lebendig atmender Phrasierungskunst für Tiefenschärfe in dem bekannten Musikgemälde der „Quattro Stagioni“. Die Allegro-Ecksätze wurden in sportlichen Tempi angegangen, oft ganz zart dagegen die „Largo“-Lyrik. Die gemeinsamen Tutti mit dem Orchester waren farbintensiv-füllig angelegt.
Eingeleitet wurde die Matinee, die Wallinger unter das Motto „All’Italiana“ gestellt hatte, mit den „Antiche Danze ed Arie“ (III. Suite) von Ottorino Respighi. Der Orchester-Chef sorgte für kontrastreiche Klangvarianten in den „Arie di Corte“, für fröhlich-schwungvolle Klangentfaltung der „Siciliana“ und eine tänzerisch betonte „Passacaglia“ zum Abschluss. Respighis Koloristik und virtuose Verwendung alter italienischer Instrumentalmusik kam dabei hervorragend zur Geltung.
Nachdem sich die vielen Zuhörer in der Pause im parkähnlichen Friedhof bei Lindenblütenduft „ergötzlich“ erholt hatten, offerierte die Süddeutsche Kammersinfonie noch das „Concerto per Archi“ des Filmmusik-Komponisten Nino Rota: ein aufmunternder, im Sound etwas schriller, mit maschinenhaften Rhythmen durchpulster instrumentaler Schluss-Gesang. Auch hierbei erfreute musikalischer Überschwang das begeisterte Publikum.
Autor: Eckehard Uhlig
weniger23.06.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Barocke Hits und ein roter Faden
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Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim spielt "Sommerliche Serenaden"
BIETIGKEIM·BISSINGEN. Es ist ein geradezu idealtypisches Peter Wallinger-Programm, das am Wochenende bei den beiden Konzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) auf dem Spielplan steht: Antonio Vivaldis 1725 publizierte „Die vier Jahreszeiten" sind mit das populärste, was sich in der Barockmusik finden lässt, weit über den Kreis der dezidierten Klassikhörerschaft hinaus geläufiges Repertoire. Demgegenüber müssen Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Arie" (1931) und Nino Rotas „Concerto per Archi" (2007) in diesem Kontext als vergleichsweise unbekannte (Gegen-)Stücke angesprochen werden - tendenziell unterschätze Preziosen, deren (Wieder-)Entdeckung überreich belohnt wird.
Die "Sommerliche Serenade" ist einer der fünf Fixbausteine im Konzertkalenderjahr der SKB, traditionell wird das Programm zweimal aufgeführt: Am Samstag als Open-Air im Schlosshof in Sachsenheim (bei schlechter Witterung in der Mensa des Lichtenstern-Gymnasiums), tags darauf dann beim „Musikalischen Sommer" in der Lienzinger Frauenkirche. "All'Italiana" überschrieben, ist der rote Faden ltalianita mühelos erkennbar. Ausgangspunkt war der ausgesprochen positive Eindruck, den die junge italienische Geigerin Rebecca Raimondi bei ihrem SKB-Debüt als Konzertmeisterin bei den Neujahrskonzerten des Ensembles hinterlassen hat: "Daraufhin hab ich gesagt: Gut, wir machen mal ein Programm, das ganz auf Rebecca zugeschnitten ist", erklärt Peter Wallinger die Genese des diesjährigen Serenadenkonzerts. Dementsprechend wird die 1996 in Rom geborenen Raimondi nun als Solistin in zwei der vier Violinkonzerten zu hören sein - Wallinger beschränkt sich hier auf „Der Frühling" (Op. 8 Nr. 1, RV 269) und "Der Sommer" (Op. 8 Nr. 2, RV 315): "an dieser Nahtstelle bewegen wir uns ja gerade" -, während Swantje Asche-Tauscher ihren Platz als Konzertmeisterin einnimmt, bei Respighi und Rota teilen sie sich das erste Pult, wobei Raimondi dann wieder Stimmführerin der 1. Violinen ist.
Der Kontakt zu Raimondi kam über Peter Wallingers Sohn Simon zustande, der wie Raimondi an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt studierte, an der die Italienerin heute auch einem Lehrauftrag für Barockvioline nachkommt. Simon Wallinger, der mit Raimondi auch als künstlerisches Leitungsduo der „Lienzingen Akademie" fungiert und zuletzt beim Frühjahrskonzert der SKB am Pult stand, wird nun wieder am Kontrabass in den Reihen des Ensembles zu finden sein. Eine weitere Klammer im Programm ist das neoklassizistische Motiv des Rückbezugs: Sowohl Respighis "Antiche Danze ed Arie" als auch Rotas "Concerto per Archi" sind in Anlehnung an „antike Vorbilder" (Wallinger) entstanden: "Beide schauen zurück und kleiden Alte Musik neu ein - bei aller Unterschiedlichkeit: Respighi mehr spätromantisch-impressionistisch, Rota sehr rhythmisch-kraftvoll." Für den Vivaldi hätte sie gern das 1732 in Neapel gebaute lnstrument von Gennaro Gagliano eingesetzt, das eine Stiftung ihr zur Verfügung stellt, sagt die auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Violinistin, doch Darmsaiten in einem Open-Air-Konzert seien eine wenig vorteilhafte Kombination. Entscheidender für den „Barockklang" ist ohnehin der Bogen, weiß Raimondi und betont, dass es bei aller Bildlichkeit dieser Programmmusik darauf ankomme, die „zweite Ebene„ der „Idee dahinter" mitzugestalten.
INFO: Die Konzerte finden am Samstag, 24. Juni. um 19.30 Uhr im Schlosshof Sachsenheim, am Sonntag, 25. Juni um 11:00 Uhr in der Frauenkirche in Lienzingen statt. Weitere Infos gibt es unter www.sueddeutsche-kammersinfonie.de.
Autor: Harry Schmidt
weniger22.06.2023, Bietigheimer Zeitung
Vivaldi und Raimondi im Schlosshof
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Sommerkonzert - Die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim" bringt italienische Leichtigkeit nach Sachsenheim.
Sachsenheim. Am Samstag, 24. Juni gibt die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim" ein Konzert im Innenhof des Wasserschlosses. ,,All'ltaliana" - italienisch und im heiteren Serenadenton - so lässt sich das Open-Air Konzert der Kammersinfonie überschreiben.
Vivaldi, Rota und Respighi
Im Mittelpunkt stehen „Der Frühling" und „Der Sommer" aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten" mit der vielfach ausgezeichneten Geigerin Rebecca Raimondi als Solistin. Die gebürtige Römerin studierte am Conservatorio Respighi in Latina (Italien) und an der Guildhall School of Music & Drama in London. Seit 2018 lebt sie in Frankfurt, wo sie bei Professorin Petra Müllejans Barockvioline studiert. Auf dem Programm stehen außerdem zwei weitere Werke italienischer Meister, die in unterschiedlicher Weise die Atmosphäre des Südens hör- und erlebbar machen: So werden in Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Arie" alte Tänze und Weisen in ein zauberhaftes, neues Klanggewand gekleidet. Dagegen wählt Nino Rota kraftvollere Farben in Tönen und Rhythmen für sein mitreißendes „Concerto per Archi".
Die „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim" gilt in ihrer Arbeitsweise als modellhaft für eine besondere Art des Musizierens und Konzertierens abseits der etablierten Berufsorchester.
Das Resultat dieser engagierten und konsequenten, projektbezogenen Orchesterarbeit mit qualifizierten Musikerinnen und Musikern ist - über die Professionalität hinaus - ein von Frische und jugendlichem Elan geprägtes, klangdifferenziertes Spiel. So ist die Kammersinfonie seit ihrer Gründung im Jahre 1984 unter der künstlerischen Leitung des Celibidache-Schülers Peter Wallinger zu einem hoch qualifizierten Klangkörper mit großer Ausstrahlung gewachsen. Zahlreiche CDs innerhalb der Editionsreihe „Kammersinfonie live" belegen den erreichten Standard.
Das Konzert beginnt um 19.30 Uhr. Einlass ab 18.30 Uhr (bei schlechter Witterung in der Mensa beim Schulzentrum). Karten gibt es im Vorverkauf für 18 Euro bei Schreibwaren Bader, beim Bürgerservice der Stadt, unter www.sachsenheim.de oder für 21 Euro an der Abendkasse. Wer das Sachsenheimer Konzert verpasst, hat am Sonntag, 25. Juli, um 11 Uhr eine zweite Chance. Dann gastiert das "sueddeutsche kammerorchester bietigheim" in der Lienzinger Frauenkirche. bz
17.05.2023, Pforzheimer Kurier
Tjeerd Top lässt die Violine singen
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Reihe „Mühlacker Concerto" endet mit fulminanter Zusammenstellung
Mühlacker. Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim hat am vergangenen Sonntag zu einem Konzert in den Uhlandbau eingeladen. Es war der Schlusspunkt der Konzertreihe „Mühlacker Concerto". Mancher Freund „traditioneller" Klassik" mag sich zweifelnd gefragt haben: Passt das zusammen? Ein Violinkonzert von Beethoven und eine Polonaise von Schubert wurden geboten, jeweils mit Solo-Violine. Dazu dann eine Kammersinfonie von Mieczyslaw Weinberg? Wer aber war Weinberg?
Dirigent Simon Wallinger baute Brücken. Er überzeugte mit seinem klaren, unmissverständlichen Dirigat zunächst seine Musikerinnen und Musiker, die auch seinem kleinsten Fingerzeig folgten und so mit ihren facettenreichen Interpretationen das Publikum begeisterte. Mit dabei Tjeerd Top, Erster Konzert meister im Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam, der mit seiner Stradivari wahrlich zaubern konnte.
Zum Auftakt erklang Beethovens C-Dur-Violinkonzert. Nur 259 Takte hat er selbst komponiert - 1870 wurde das Fragment entdeckt, und war Anreiz für zahlreiche Komponisten, es zu vervollständigen. Wallinger hatte die meistgespielte Version von Josef Hellmesberger (1879) gewählt, aus der das Allegro con brio erklang. Ganz still wurde es im Saal. Denn der Maestro an der Violine bot alles auf, was überhaupt mit diesem Instrument möglich ist furiose Tempi in mächtigem Fortissimo, knackige Pizzicati, berauschende Klangfolgen, in die zartestes Piano einfloss, kaum noch hörbar, aber bis zum letzten Bogenstrich kristallklar und transparent. Das Cantabile in der Romanze verstand Top wörtlich und ließ seine Violine singen. Beschwingt und heiter lud er dann zum Tanz der Polonaise ein.
Ebenfalls staunenswert war das stets harmonische Zusammenspiel mit dem Orchester,das mitsichtbarer Spielf reude seinem Dirigenten „gehorchte".
Wallinger tat gut daran die Zuhörer auf die nun folgende „Zeitenwende" im Programm mit einführenden Worten vorzubereiten. „Weinberg hat viele Extreme ausgereizt. Seien Sie gefasst auf wilde Kampfszenen neben leisen Passagen bis hin zur Hörgrenze", so der Dirigent. Es war tatsächlich ein enormer Kontrast zum bisherigen Programm. Weinberg ging neue Wege. Die Art, wie er die Stimmen, nur Streicher, ohne Bläser, nach und nach zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügte, ließ sich dennoch erstaunlich gut verstehen und ist dem Dirigenten zu verdanken, der behutsam, aber auch mit der vom Komponisten geforderten Kraft die mal fließenden, dann abrupten Klangfolgen entschlüsselte.
„Weinberg war heute unser Favorit", äußerte sich ein Ehepaar aus Maulbronn, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Klangfarben der einzelnen Instrumente empfand ich viel prägnanter. Für mich war es ein völlig neues, ganz intensives Hörerlebnis", erklärte begeistert die Ehefrau.
Gemessen an dem Riesenbeifall zum Schluss, kann Mühlacker Concerto dieses Konzert als großen Erfolg buchen. Warum nur rund 100 Musikfreunde den Weg in den Uhlandbau fanden, stimmt dennoch traurig.
Autorin: Eva Filitz
weniger17.05.2023, Mühlacker Tagblatt
Saisonabschluss bietet unerhörte Klangwelten
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Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim spielt unter der Leitung von Simon Wallinger und mit Tjeerd Top als Solisten.
Mühlacker. Musikalische Raritäten standen am Sonntag im Mittelpunkt des Frühjahrskonzerts der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim im Uhlandbau mit Simon Wallinger am Dirigentenpult.
Ludwig van Beethoven schuf als Zwanzigjähriger ein selten zu hörendes, erstes Violinkonzert in C-Dur, das nur als einsätziges Fragment erhalten ist, das aber als Frühwerk bereits alle charakteristischen Eigenschaften des Komponisten erkennen lässt. Eine brillante Interpretation des Soloparts lieferte Tjeerd Top, Erster Konzertmeister im renommierten Concertgebouw Orchester Amsterdam, auf seiner Stradivarius-Violine aus dem Jahre 1713. Insbesondere die Kantilenen in hoher Lage erklangen auf diesem edlen Instrument in vollendeter Schönheit.
Wie ein langsamer, intimer „Mittelsatz“ erklang im direkten Anschluss die Romanze in F-Dur opus 50 für Violine und Orchester von Beethoven. Ohne Unterbrechung durch Applaus, wie ein heiterer „Schlusssatz“ eines Violinkonzerts, folgte die Polonaise in B-Dur von Franz Schubert. Mit einem Wiegenlied der „Red Hot Chili Peppers“ bedankte sich Tjeerd Top für den reichen Beifall und verblüffte dabei das Publikum mit dem kunstvollen, gleichzeitigen Streichen und Zupfen der Saiten.
Eine weitere Besonderheit war nach der Pause, jetzt ohne Bläser, mit Mieczysław Weinbergs Kammersinfonie Nummer 3 von 1990 zu hören – einem faszinierenden Spätwerk von höchster Expressivität, in dem sich die bewegte Biografie des jüdischen Komponisten eindrucksvoll niederschlägt. Unerhörte Klangwelten eröffnen sich in dem 35-minütigen Werk in reiner Streicherbesetzung. Die Extreme reichen von leisesten Unisono-Passagen an der Hörschwelle bis zu gewaltigen, hochexpressiven Klanggebilden. Doch inmitten dieser bisweilen exzessiv bizarren Klangmassen offenbart sich immer wieder versöhnlicher Schönklang im reinen Streicherton.
Simon Wallinger hat sich mit spürbar großem Engagement dem anspruchsvollen Werk gewidmet und mit den hochmotiviert spielenden Musikern des Orchesters eine beeindruckende Interpretation gemeistert. Ein eher nachdenkliches Menuett von Schubert als Zugabe beschloss den eindrucksvollen Konzertabend. pm
weniger16.05.2023, Pforzheimer Zeitung
Frühlingskonzert der Sueddeutschen Kammersinfonie in Mühlacker
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Beeindruckender Auftritt bot einige Besonderheiten.
Geschickte Überlegung bei der Programmgestaltung am Sonntagabend: Drei Orchesterstücke mit Violin-Solopart wurden sinnfällig wie ein dreisätziges Violinkonzert mit lebhaften Ecksätzen und langsamem Mittelsatz zu einer Einheit gefügt und ohne Pausenapplaus interpretiert. Zudem veredelte ein exzellenter Solist die Wiedergabe. Tjeerd Top, der in Mühlacker dank mehrerer Gastauftritte gut bekannte Konzertmeister des Concertgebouw-Orchesters Amsterdam, spielte mit Elan und klangschöner Klarheit auf seiner Stradivarius-Geige. Nicht das geringste Nebengeräusch oder Krätzerchen waren zu hören.
Das Frühjahrskonzert der Sueddeutschen Kammersinfonie im Uhlandbau hatte freilich weitere Besonderheiten zu bieten. Nachwuchsdirigent Simon Wallinger, der Sohn des Orchesterchefs Peter Wallinger, leitete den gesamten Konzertabend. Vor der Pause die erwähnten, in ihrer Dynamik so unterschiedlichen Kompositionen: Ludwig van Beethovens selten zu hörendes, schwungvolles Violinkonzert-Fragment in C-Dur (Wo 05), von dem nur ein „Allegro con brio“ existiert. Anschließend Beethovens populäre Romanze F-Dur (op. 50), ein romantisches Bravourstück mit samtweichem Solopart, und zum Schluss Franz Schuberts tänzerische Polonaise B-Dur (D 580). Eine Bläsergruppe bereicherte die frühlingshaft hellen Klanglandschaften. Als Zugabe offerierte Top das kunstvoll-virtuose, zerbrechlich-zarte Solostück „Porcelain“ aus seiner neuen CD „Fragile“.
Leidenschaftliches Engagement
Nach der Pause präsentierten sich das Orchester, das nun als reines Streicherensemble agierte, und sein jugendlicher Dirigent mit spürbar leidenschaftlichem Engagement für das musikalische Extreme ausreizende Werk des polnisch-jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919-1996). Der wenig bekannte Meister ist – wie Wallinger einleitend bemerkte – eine Entdeckung und besitzt eine bewegte, sich in seinen Kompositionen niederschlagende Biografie. Sein Oeuvre umfasst auch vier Kammersinfonien, von denen beim Frühlingskonzert die 1990 entstandene Nr. 3 (op. 151) als Fortsetzung des angekündigten „Weinberg-Zyklus“ geboten wurde.
Der schwermütige erste Abschnitt „Lento“ setzte mit Unisonogesang der Violinen ein, dunkles Bass-Geraune folgte. Einen starken Kontrast dazu bildete der zweite Satz. Das rasante „Allegro molto“ rauschte mit kämpferisch-wildem Klanggetümmel vorbei und mündete in dreifaches Fortissimo ein. Ein klangseliges „Adagio“ und ein „Andantino“ mit eingeschobenem Violinsolo, das sich wie eine intensive Erlösungssuche anhörte, fügten sich an. Eine rätselhafte Musik, die auch das herzlich applaudierende Publikum tief beeindruckte.
Autor: Eckehard Uhlig
weniger15.05.2023, Bietigheimer Zeitung
Minutenlanger Applaus für Geigenvirtuosen
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Mit Tjeerd Top aus Holland gestaltet die Süddeutsche Kammersinfonie ein Konzertbonbon in Bietigheim.
Aus der Fülle von Literatur für Geige solo mit Orchester stellte die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim eine eigene „Symphonie“ in drei Teilen zusammen und gestaltete ein charmantes Frühlingskonzert am Samstagabend im Kronenzentrum.
Beethovens selten gehörtes Violinkonzert in C-Dur stellt die Geige als selbstbewusste Energieträgerin vor. Die F-Dur-Romanze Beethovens zeigt ihr sinnliches, schwärmerisches Wesen. Die Polonaise in B-Dur von Franz Schubert entwirft das Bild einer Tänzerin von ihr. Der Geiger des Abends Tjeerd Top küsst all diese Seiten bei der hölzernen Lady wach. Beethoven hat für sie sogar eine eigene Gattung kreiert, die Romanze.
Tjeerd Top als Konzertmeister des Amsterdamer Concertgebouw kommt strahlend auf die Bühne und wird mit warmem Applaus willkommen geheißen. In Holland hat er einen großen Namen, in Bietigheim lernen ihn Kenner und Liebhaber klassischer Musik gerade erst kennen. Der Geiger mit dem Schmunzeln im Gesicht geht in einen lebendigen Dialog mit dem Bietigheimer Orchester. Das Ensemble besteht aus klangstarken Charakteren in jeder Stimme. Deshalb hat die Besetzung auch einen Stab von Fans, die kaum eines der Konzerte im Bietigheimer Kronensaal ausfallen lassen.
Besonders nach der Pandemie wird das Angebot des Bietigheimer Streicherensembles dankbar angenommen. Jedem dieser Konzerte der Süddeutschen Kammersinfonie schickt Flötistin Christiane Dollinger eine kleine Einführung voraus, diesmal flimmert diese über die Leinwand. Sie ist mit ihrer Begabtenklasse der Musikschule bei einem Probenwochenende.
Programme von der Stange gibt es bei der Bietigheimer Kammersinfonie nicht, sondern „einzigartige Designerstücke“ wie das seltene Fragment eines C-Dur- Violinkonzerts von Beethoven. Drei Werke für Violine solo sorgen dafür, dass sich im ersten Teil der Geigenhimmel öffnet und die Zuhörer den holländischen Virtuosen in jeder Facette kennenlernen. Er wird gefeiert mit minutenlangem Applaus.
Programme von der Stange gibt es bei der Bietigheimer Kammersinfonie nicht, sondern „einzigartige Designerstücke“ wie das seltene Fragment eines C-Dur- Violinkonzerts von Beethoven. Drei Werke für Violine solo sorgen dafür, dass sich im ersten Teil der Geigenhimmel öffnet und die Zuhörer den holländischen Virtuosen in jeder Facette kennenlernen. Er wird gefeiert mit minutenlangem Applaus.
Im zweiten Teil nimmt Tjeerd Top als Konzertmeister bei den ersten Geigen Platz. Das Orchester setzt den „Weinbergzyklus“ fort, den es 2022 schon gestartet hat. Es geht dem Leiter und Gründer der Süddeutschen Kammersinfonie, Peter Wallinger, darum, dass der erst 1996 gestorbene sowjetische Komponist polnischer Herkunft Mieczysław Weinberg nicht in Vergessenheit gerät. Mit der Aufführung seiner Werke soll er nach seinem Tod ins Licht der Öffentlichkeit gestellt werden.
In seinem Werk reizt Weinberg Extreme aus, und stellt lange homogene Passagen direkt neben Kampfesszenen im zweiten Satz. Auch in der Dynamik geht der 1919 geborene Komponist extreme Wege und kreiert viele leise Passagen, die an der Hörgrenze liegen im sich auflösenden tonalen System. Weinberg ist kein Schönberg. Er lässt Dissonanzen pointiert einfließen und erspart seinem Publikum bewusst schrille Schräglagen.
Am Ende tobt minutenlang der Applaus, und das Kammerorchester zaubert noch einmal die Polonaise von Schubert heraus. Einfach deshalb, weil man selten die Geige als Solistin in einem tänzerischen Satz, einer Polonaise hört.
Autorin: Susanne Yvette Walter
weniger15.05.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Vom Gedanken hin zum Gefühl
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Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim und Tjeerd Top im Kronenzentrum
BIETIGHEIM-BBISSINGEN. Traditionell feiert das Frühjahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) im Kronenzentrum seine Premiere, anderntags wird das Programm im Uhlandbau in Mühlacker wiederholt und aufgezeichnet. Wie bereits 2022 wird das Konzert komplett von Simon Wallinger dirigiert, diesmal allerdings vor allem, weil sein Vater Peter Wallinger, der die SKB 1984 gegründet hat, durch die nahezu zeitgleich stattfindenden Schulkonzerte gebunden war.
Tjeerd Top ist für Freunde der SKB kein Unbekannter, bereits mehrfach hat der erste Konzertmeister des Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam mit dem renommierten Klangkörper zusammengearbeitet. Genau genommen hat er den Anstoß zu diesem Programm gegeben, indem er vor zwei Jahren Mieczyslaw Weinbergs „Concertino für Violine und Streichorchester" (Op. 42) einbrachte. Daraus ist der Plan entstanden, alle vier Kammersinfonien des polnischen Komponisten und Schostakowitsch-Weggefährten aufzuführen. Den Auftakt des Weinberg-Zyklus bildete nun die Kammersinfonie Nr. 3 (Op. 151) von 1991, deren vier Sätze nach der Pause zu Gehör kamen.
Angeregt durch deren in Teilen spätromantische Klangsprache hat Simon Wallinger für die erste Hälfte eine Art Gegenpol konzipiert, der den Beginn der Romantik in den Fokus rückt. Trotz seines ungeklärten Entstehungszusammenhangs ist das Fragment gebliebene „Violinkonzert C-Dur" (WoO 5) von Ludwig van Beethoven, vermutlich zwischen 1790 und 1792 entstanden, alles andere als eine Fingerübung: In seiner dramatischen, von vielen Generalpausen zerklüfteten Entwicklung, den Dialogen mit dem Orchester, insbesondere mit den Bläsern, ist bereits der komplette Beethoven voll ausgeprägt erkennbar. Top spielt die Vervollständigung der 259 überlieferten Takte durch Josef Hellmesberger (1879) auf einer Stradivari von 1713, virtuos und inspiriert in einem ungemein schlanken, honigtaufarben singend hellen Instrumentalklang.
Wallinger sucht nicht die große Geste, ist eher ein Mann kleinteiliger Präzision und bettet Tops Kantilenen behutsam wie eine Singstimme, wobei er dem Ensembleklang der SKB eine geradezu sinfonische Tiefe entlockt. Als langsamer „Mittelsatz" folgt Beethovens „Romanze F Dur" (Op.50) - klar, dass eine solche trotz aller gebotenen zärtlichen Poesie bei Beethoven nicht ohne Pathos abgeht. In Sachen emotionaler Affirmation und Gemütsbewegung steht der Titan der Wiener Klassik hier mit einem Bein eben schon in der Romantik, die - aus Gedanken wer den Gefühle - mit Franz Schuberts „Polonaise B-Dur" (D 580) dann schon fast erreicht ist. Für den Beifall bedankt sich Top mit einem Wiegenlied der Red Hot Chili Peppers, "Porcelain" verblüfft durch mit der Griffhand ausgeführte Pizzicati.
Für Weinbergs dritte Kammersinfonie teilt Top sich das erste Pult der ersten Geigen mit Swantje Asche-Tauscher, Wallingers Interpretation dieser wundervoll introvertierten, wie durch das 20. Jahrhundert hindurchgegangenen Musik ist höchst aufmerksam gegenüber ihrer Fragilität, auf der sprichwörtlichen Stuhlkante musiziert das expressive Allegro molto. Bravos für Wallinger, Top und die SKB im leider nur mäßig besuchten Kronensaal. Diesem vorzüglichen Konzert wären weit mehr als die anwesenden 120 Besucher zu wünschen gewesen.
Autor: Harry Schmidt
weniger12.05.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
Auf der Schwelle zur Romantik
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Am Wochenende stehen die traditionellen Frühjahrskonzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim an. Erneut liegt die Leitung komplett in den Händen von Simon Wallinger. Ein direktes Signal in Sachen Stabübergabe sei dies aber noch nicht, heißt es.
BIETIGHEIM/MÜHLACKER. Bereits zum zweiten Mal liegt die Leitung der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) komplett in Händen von Simon Wallinger: Während das beim Frühjahrskonzert 2022 noch dem zufälligen Umstand geschuldet war, dass Orchestergründer Peter Wallinger vor dem Konzertwochenende erkrankt war und der junge Musiker kurzfristig auch das Dirigat für den Programmteil seines Vaters übernommen hatte, machten die in diesem Jahr nahezu zeitgleich stattfindenden Schülerkonzerte in Bietigheim und Mühlacker es naheliegend, für die am Wochenende ebenda anstehen den Frühjahrskonzerte 2023 von Beginn an mit Simon Wallinger am Pult zu planen. Mit einer Stabübergabe sei dies in des (noch) nicht gleichzusetzen, heißt es von Wallinger senior und junior gleichermaßen: Peter Wallinger spricht von einer "Übergangszeit", Simon Wallinger davon, „Erfahrungen zu sammeln und Perspektiven zu entwickeln". Eine direkte Botschaft in Sachen Stabübergabe verbinde sich damit jedenfalls noch nicht.
Ausgangspunkt des Programms war der Wunsch, alle vier Kammersinfonien von Mieczyslaw Weinberg mit der SKB aufzuführen, die 1991 veröffentlichte Kammersinfonie Nr. 3 (Op.151) zählt zum Spätwerk des polnischen Komponisten, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1939 über Minsk und Taschkent nach Moskau emigriert ist, wo er ein enger Weggefährte Schostakowitschs wurde, und markiert nun den Auftakt zum Weinberg-Zyklus der SKB. Bereits vor zwei Jahren hatte man dessen "Concertino für Violine und Streichorchester" (Op.42) auf den Spielplan gesetzt, seinerzeit auf Initiative des für Vivaldis „Violinkonzert e-Moll" (RV 278) eingeladenen Solisten Tjeerd Top. „Für mich ist Weinberg als Komponist eine wahnsinnige Entdeckung gewesen", so Simon Wallinger, „ein völlig unterschätztes Werk, das neben Mahler, auch neben Bruckner bestehen kann. Was mich an den Kammersinfonien fasziniert, ist, dass man am Ende des 20. Jahrhunderts immer noch tonal komponieren kann und damit wirklich überzeugt." Ein weiteres Momentum für die Konzeption eines Weinberg-Zyklus war das 100-jährige Bestehen des von der jüdischen Familie Emrich gestifteten, von der SKB regelmäßig bespielten Uhlandbaus in Mühlacker, das 2021 gefeiert wurde.
"Die riesengroßen Bögen, die Weinberg schafft, nehmen manchmal schon fast sinfonische Dimensionen an - das ist auch für mich und die Musiker eine Herausforderung." Beim Erarbeiten seiner Interpretation habe er durchaus auch Aufnahmen wie die vorzügliche von Gidon Kremer für ECM studiert, schlussendlich gelte es dann aber, sich auch wieder davon zu lösen, so Wallinger junior. Während Weinbergs dritte Kammersinfonie nach der Pause erklingt, wirkt der erste Teil des Programms heterogener. Lediglich als Fragment erhalten ist Beethovens „Violinkonzert C-Dur" (WoO 5), gespielt wird die Vervollständigung von Josef Hellmesberger (1879). Darauf folgen Beethovens „Romanze F-Dur" (Op. 50) und die „Polonaise B-Dur" (D 580) von Franz Schubert. Im Wechsel von schneller und langsamer Bewegung entspricht die Zusammenstellung ihrerseits der Satzfolge eines Concertos.
Entstanden sind die drei Werke in relativer zeitlicher Nähe zueinander, an der Schwelle von der Wiener Klassik zur Romantik. Insofern bewege man sich mit dem Frühjahrskonzert vom Beginn dieser Epoche bis zu ihren letzten Ausläufern in der spätromantischen Klangsprache Weinbergs, so Wallinger. Als Solist im ersten Teil wird erneut Tjeerd Top mit seiner Stradivarius aus dem Jahre 1713 zu hören sein, im zweiten wird der erste Konzertmeister des Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam sich das erste Pult mit Swantje Asche-Tauscher teilen.
Autor: Harry Schmidt
weniger17.01.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
„Berühmte Arien, entfesseltes Cello“
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Neujahrskonzerte der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mit Nils Wanderer
MÜHLACKER. Neben Bietigheim Bissingen und Murr kommt traditionell Mühlacker in den Genuss eines SKB-Neujahrskonzerts. Seit 2004 bereichert Orchesterleiter Peter Wallinger dort mit seiner Initiative "Mühlacker Concerto" das Kulturleben der Großen Kreisstadt im Enzkreis. Der Uhlandbau könnte kaum besser besucht sein: Keiner der 200 Plätze im Saal bleibt unbesetzt, auf der Empore haben sich weitere Musikliebhaber verteilt. Vergangenheit und Zukunft überschneiden sich, der Blick geht zurück wie nach vorn: Das ist das janusköpfige Profil der Neujahrszeit, der Jahreswechsel als Gegenwart par excellence gewissermaßen - "... es wird einmal" hat Wallinger sein diesjähriges Programm überschrieben.
Das überspannt einen Bogen von rund drei Jahrhunderten und reicht von der Renaissance über das Barock bis in die Moderne. Claudio Monteverdi steht am Übergang der beiden erstgenannten Epochen, seine "Favola in Musica" namens "L'Orfeo", uraufgeführt 1607 am Hof des Herzogs von Mantua, gilt als eine der ältesten Opern überhaupt und markiert (mit "La Daphne" und "Euridice" von Jacopo Peri) die Geburtsstunde der Gattung. Text und Musik stehen hier gleichwertig nebeneinander - ein Konzept, das Wallinger auf seine Neujahrskonzerte übertragen hat. Wieder ist der Berliner Schauspieler Johann-Michael Schneider mit von der Partie und trägt durch pointierten Vortrag poetischer Texte zum positiven Gesamteindruck der Matinee bei.
Und so erklingen zwischen der einleitenden "Toccata" mit der Fanfare der Gonzaga-Familie und dem ersten "Ritornell", das den Auftritt der Musik höchstpersönlich ankündigt, kurze Verse des bengalischen Literaturnobelpreisträgers Rabindranath Tagore. Insbesondere die „Sinfonia" aus dem 5. Akt geht mit schmerzlichem Melos unter die Haut. Ähnlich, wenn auch ohne Zwischentexte, verfährt Wallinger mit Henry Purcells Semi-Oper „The Fairy-Queen" (1692) und verzichtet auf Singstimmen, um stattdessen Instrumentalmusikteile zu einer kurzen Suite zu verbinden.
Ensemble hat Luft nach oben
Als Ausgleich für das Fehlen von Arien und Chören des auf Shakespeares "Sommernachtstraum" beruhenden Librettos darf Schneider zuvor als Puck durch den Mittelgang geistern. Schwungvoll und präzise animiert Wallinger seine SKB, differenziert in Zeichen- und Körpersprache hält der 72-Jährige alle Fäden in der Hand. Viele neue Gesichter sind unter den 13 Musikerinnen und Musikern auszumachen, überaus präsent wirkt Konzertmeisterin Rebecca Raimondi, doch in Sachen Ensembleklang bleibt etwas Luft nach oben: Es mangelt an Resonanz und Blending, die Einzelstimmen schließen sich noch nicht zum kammersinfonischen Chor zusammen.
Mit Nils Wanderer ist das Neujahrskonzert dann tatsächlich in der Oper angekommen: Einem silberhell überfangenen Sich-Verströmen gleicht die Stimme des Countertenors in Antonio Vivaldis "Sovente il Sole" (aus der Pasticcio-Serenata "Andromeda liberata", 1726). Ganz zurückgenommen und verinnerlicht gestaltet ist dann Purcells "When I am laid in earth" aus „Dido and Aeneas" (1688/1689) - die schönste, die traurigste Arie der Musikgeschichte wirkt unweigerlich berührend. Dass mit Händels "Lascia ch'io pianga" (aus "Rinaldo", 1711) als Zugabe eine weitere berühmte Barockarie folgt, ist da fast schon zu viel des Guten.
Nach der Pause verblüfft, zu welch entfesselter Raserei der vermeintlich so gemütliche „Papa Haydn" Anlass geben kann: Was Arthur Cambreling in dessen erstem Cello-Konzert veranstaltet, mutet wie ein expressives Klangfeuerwerk an. Mit der Streichorchesterfassung von Béla Bartóks "Rumänischen Volkstänzen" (1917) schließt sich der Kreis zu den Suiten des ersten Teils. Euphorischer Beifall für Wallinger, die SKB und die Solisten.
Autor: Harry Schmidt
weniger17.01.2023, Mühlacker Tagblatt
Publikum feiert Künstler wie Popstars
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Ein märchenhaftes Neujahrskonzert im Uhlandbau in Mühlacker: Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim unter der Leitung von Peter Wallinger begeistert erneut mit einem höchst fantasievollen Programm und herausragenden Solisten.
Mühlacker. Der Andrang zum diesjährigen Neujahrskonzert der Reihe „Mühlacker Concerto“ war – trotz des nasskalten Wetters – enorm. Dies ist aus mindestens zwei Gründen allerdings nicht weiter verwunderlich: Zum einen sind die Konzerte Anfang Januar längst im kulturellen Gedächtnis der Stadt verankert, und zum anderen wussten die Zuhörerinnen und Zuhörer, dass Peter Wallinger immer wieder für pfiffige Ideen und musikalische Überraschungen gut ist.
Gelungen war die Matinee ebenfalls in mehrfacher Hinsicht: Das Programm „...es wird einmal“ beinhaltete traumhaft schöne Musik aus Fantasieopern wie „Orfeo“ von Claudio Monteverdi, „The Fairy Queen“ und „Dido and Eneas“ von Henry Purcell und „Andromeda liberata“ von Antonio Vivaldi.
Die Ausführenden, die 13-köpfige Kammersinfonie, der umwerfende Altus/Countertenor Nils Wanderer und der großartige Cellist Arthur Cambreling, waren so glänzend disponiert und musizierten derart brillant, dass sie vom Publikum wie Popstars gefeiert wurden. Wer die Konzerte Wallingers schon eine Weile verfolgt, kennt den Sprecher Johann-Michael Schneider bereits, der in diesem Format schon öfter zu erleben war. Ihm oblag am Sonntag die angenehme und mit großem Erfolg gemeisterte Aufgabe, in das rätselhafte Motto des Konzerts „...es wird einmal“ einzuführen und zwischen den sechs gespielten musikalischen Werken sinnfällige Lyrik einzuflechten.
Die Musik und die ausgewählten Texte widmeten sich – so der gemeinsame Nenner – dem Mysterium der Natur und der Jahreszeiten und rückten Fantasiegeschichten und märchenhafte Musik in einen metaphorischen Zeithorizont des Seins, Vergehens und Werdens. Aus der Formel „...es war einmal“ wurde deshalb ein „...es wird einmal“, weil es ewige Muster sind, die der Musik, der Poesie und der Geschichte zugrunde liegen und den Fortlauf der Zeit gleichsam aufheben.
Die musikalisch-literarische Programmfolge begann mit Tänzen aus Monteverdis „L‘Orfeo“, der ersten Oper der Musikgeschichte überhaupt, und aus Purcells „The Fairy Queen“ nach Shakespeares Sommernachtstraum. Die Süddeutsche Kammersinfonie, diesmal als reiner Streicherapparat, spielte verheißungsvoll, mit einem wunderbar austarierten Klang. Die 13 Streicherstimmen gingen nicht in nebulösen Klangsümpfen unter, sondern gewährten einen glasklaren Durchblick. Peter Wallinger wagte extreme, besonders eindrucksvolle Pianostellen.
Wer den Altus/Countertenor Nils Wanderer auf der Bühne live erlebt hat, wird dies so schnell nicht wieder vergessen. Nicht nur seine Stimme ist einzigartig und technisch makellos, seine gesamte Bühnenpräsenz ist – fast möchte man sagen – magisch. Er versinkt geradezu in einer Rolle und wird eins mit ihr und der Musik. In berauschender Schönheit erklang der wundervolle Dialog zwischen der Solovioline (brillant gespielt von der Konzertmeisterin Rebecca Raimondi) und dem vielfach ausgezeichneten Nils Wanderer in Vivaldis „Sovente il Sole“. Auch der Todesgesang der Dido aus Purcells Oper gelang so großartig, dass Wanderer dem Publikum, das völlig aus dem Häuschen geraten war, Händels „Lascia ch’io pianga“ zugeben musste. Doch das war am Sonntag noch nicht alles. Als weitere handfeste Überraschung folgte nach der Pause der französische Cellist Arthur Cambreling, der einer Familie mit weltweit angesehenen Musikern entstammt, mit Joseph Haydns Cellokonzert in C-Dur. Der junge, ebenfalls vielfach ausgezeichnete Cellist spielte das dreisätzige Opus mit virtuos-anpackendem Zugriff, technisch tadellos und mit einer herrlichen Tongebung. Glänzende Solokadenzen mit gewagten Flageolett-Tönen ließen das Publikum den Atem anhalten. Begeisterte Bravorufe erhielt auch er. Zum Schluss gab es noch die rasanten Rumänischen Volkstänze von Béla Bartók. Nicht nur die Natur war am Ende der Matinee glücklich wie in dem Gedicht von Rainer Maria Rilke „Natur ist glücklich“ – wunderbar rezitiert von Johann-Michael Schneider –, auch das Publikum war es.
Autor: Dr. Dietmar Bastian
weniger16.01.2023, Pforzheimer Zeitung
Musikalischer Juwelen-Glanz
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• Herausragende Solisten begeistern im Uhlandbau bei „Mühlacker Concerto".
• Fein aufeinander abgestimmtes Programm in ausverkauftem Saal.
FOTOS: PETER HENNRICH
Peter Wallingers Neujahrskonzerte im Mühlacker Uhlandbau sind anders. Da gibt es weder Wiener Walzer-Seligkeit noch pompöse, von donnerndem Schlagwerk begleitete Bläserfanfaren. Stattdessen erfreut ein fein aufeinander abgestimmtes literarisch-musikali sches Programm, das diesmal besonderen musikalischen Glanz ausstrahlte. Denn mit Nils Wanderer war ein Ausnahmesänger zu Gast: ein Countertenor, der ganz zart zu singen und in Sopran-Höhen aufzusteigen vermag, aber dennoch eine männlich kraftvolle, durchdringende Stimme besitzt.
Stimme leuchtete in Spitzentönen.
Zuerst interpretierte Wanderer die Arie „Sovente, il sole risplende in cielo" (häufig erstrahlt die Sonne am Himmel) aus dem Pasticcio „Andromeda liberata" von Antonio Vivaldi, das die Hochzeit der befreiten Andromeda mit Perseus feiert. Danach folgte der Klagegesang „When I am laid in earth" aus Henry Purcells Oper „Dido and Eneas", mit dem die vom trojanischen Helden Eneas verlassene, in Verzweiflung sterbende Königin Dido ihr Lamento anstimmt.
Das faszinierende Timbre der falsettierenden, staunenswert beweglichen Männerstimme leuchtete in Spitzentönen , verzierte Silben und Wörter mit schönsten Koloratur-Melismen, und bot mit weich veredelter Vokalität sehnsüchtige Melancholie. Oder sank im langgezogenen Ton einer illusionslosen Zärtlichkeit in tief reichende Trauer hinab. Exzellent getragen und grundiert wurden die vokalen Klangjuwelen von den Streichern der sueddeutschen kammersinfonie unter Peter Wallingers Leitung - wobei sich die neue Konzertmeisterin Rebecca Raimondi in der Vivaldi-Arie solistisch mit herrlich echohaft intonierender Violinstimme auszeich nete. Nicht nur Wanderers Zugabe, die populäre Arie „Lascia ch'io pianga" (Lass mich weinen!) aus Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo" wurde vom atemlos lauschenden Publikum mit jubelndem Beifall belohnt.
Aber das war im ausverkauften Uhlandbau-Saal noch lange nicht alles. Einleitend vom Orchester gebotene, rhythmisch kunstvoll ausgefeilte barocke Tanzsätze von Claudia Monteverdi (aus „Orfeo") und Henry Purcell (aus „The Fairy Queen") wurden von dem rezitierenden und heiter schauspielernden Vortragskünstler Johann-Michael Schneider mit lyrischen Versen sinnfällig kommentiert. Poesievolle Texte von Rabindranath Tagore und William Shakespeare (aus „Ein Sommernachtstraum") waren vor und zwischen den Konzertstücken zu hören, auch Rainer Maria Rilkes Gedicht „Natur ist glücklich" und der lustige Reim-Text „Wenn's Winter wird" von Christian Morgenstern.
Der zweite Höhepunkt in Peter Wallingers Neujahrs-Konzertmatinee folgte nach der Pause. Der jugendlich frisch aufspielende Cellist Arthur Cambreling wartete in Joseph Haydn's Violoncello- Konzert C-Dur (Hob VIIb:l) mit sensationeller Virtuosität in den abenteuerlich rasanten Spiccato-Skalen der Ecksätze auf. Er musizierte nicht nur mit brillant lockerer Fingerfertigkeit und technisch perfekter Bogenführung, sondern auch mit einer von innen herausdrängenden, gespannten Expressivität. Die fantasievolle eigene Kadenz zeugte von musikalischer Kopfarbeit, die Wiedergabe des langsamen Mittelsatzes von der Fähigkeit, Melodielinien kantilen auszusingen.
Zu preisen sind schließlich das Orchester-Ensemble und sein Dirigent, die mit den „Rumänischen Tänzen" von Bela Bartók für einen folkloristisch farbintensiven Konzertabschluss sorgten.
Im Frühjahr stehen in der „Mühlacker Concerto"-Reihe im Uhlandbau auf dem Programm: „Rossinis Notenküche - ein Komponist tischt auf: Musiktheaterstück der Pyrmonter Theater Companie für Kinder der Klassen 1bis 5 am 11. und 12. Mai jeweils um 9 und 10.30 Uhr, sowie das Frühjahrskonzert mit Werken von Weinberg, Schubert und Beethoven unter der Leitung von Peter und Simon Wallinger (Solist: Tjeerd Top, Violine) am 14. Mai um 17 Uhr.
weniger16.01.2023, Marbacher Zeitung
Starke Solisten, souveräne Streicher
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Es gab nicht nur klassische Musik: Beim traditionellen Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim wurden auch Texte von Shakespeare bis Rilke rezitiert. Es war das erste Konzert nach der Corona-Pause.
Zwei Mal hatte es wegen Corona ausfallen müssen, jetzt fand es endlich wieder statt: das Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim in Murr. Dreizehn Streicherinnen und Streicher unter der bewährten Leitung von Peter Wallinger setzten eine beliebte, nun schon mehr als 15-jährige Tradition fort. Waltraut Menzel vom Kulturamt würdigte zur Eröffnung die stets „innovativen und anregenden Konzertprogramme“ des Ensembles.
Dieser Anspruch wurde auch diesmal wieder eingelöst. Das gewählte Motto – „…es wird einmal“ – schien zwar zunächst etwas rätselhaft. Doch der Schauspieler Johann-Michael Schneider, der die Stücke mit kurzen Texten begleitete, gab Hinweise. In all seinen Rezitationen, verfasst von Shakespeare, Morgenstern, Rilke und Tagore, ginge es um den Menschen in der Natur. Die Natur wiederum sei, wie die Musik, beständig im Werden, so würde aus dem „Es war einmal“ und dem „Es ist“ das „Es wird einmal“. Schneider betonte, Offenheit sei wichtig in einer Zeit der Katastrophen und Krisen.
Ausgesprochen schöne Musik spielte dann das Ensemble aus Bietigheim. Im ersten Teil entführten die Künstlerinnen und Künstler ihre Zuhörer in die Welt der barocken Opern. Den Auftakt bildeten Sätze aus dem „Orfeo“ von Claudio Monteverdi, lebhafte und schwungvolle Melodien, in denen die hellen, fröhlichen Stimmen von Violinen und Bratschen mit den tiefen Tönen von Celli und Kontrabass reizvoll zusammenwirkten. Schnell und dynamisch, dabei immer souverän und mit großer Spielfreude vorgetragen auch „The Fairy Queen“ von Henri Purcell nach Shakespeares bekanntem Sommernachtstraum.
Opernmusik wurde an diesem Abend nicht nur gespielt, sondern auch gesungen. Der Countertenor Nils Wanderer stimmte, begleitet vom Orchester, Stücke aus „Andromeda liberata“ von Antonio Vivaldi und „Dido and Eneas“ von Henri Purcell an. Ein Countertenor zeichnete sich dadurch aus, dass er seine männliche Stimme im ungewöhnlichen Bereich von Alt erklingen lassen konnte, also in einer hohen Stimmlage unterwegs war.
Sehr eindrücklich gelang das Wanderer, als er den Part der sterbenden karthagischen Königin Dido sang, die verzweifelte Klage einer verratenen Liebe, getragen vom melancholischen Klangteppich der Streicher. Das Publikum war berührt, und Wanderer, eine imposante, sympathische Erscheinung, gab eine gefühlvolle Zugabe, „Lascia chio pianga“, etwa: Lass mich mein Schicksal beweinen, aus Händels Oper „Rinaldo“. Wanderer, ein gebürtiger Ludwigsburger, ist erster Preisträger des Bundeswettbewerbes Gesang 2022, er gewann auch als erster Deutscher einen 2. Preis bei Operalia 2022, dem wichtigsten internationalen Wettbewerb für Oper.
Ein weiterer Höhepunkt leitete den zweiten Teil des Konzerts ein. Im Violoncello-Konzert C-Dur von Joseph Haydn zeigte Arthur Cambreling als Solist sein ganzes Können. Der Franzose spielt seit seinem vierten Lebensjahr Violoncello, und er ist mit diesem vielseitigen Instrument geradezu verwachsen.
Der junge, schalkhaft wirkende Künstler ging völlig in seiner Musik auf. Mit Hingabe entlockte er dem Violoncello ebenso nachdenkliche wie forsche, dominante Töne, rief sogar kurze Klanggewitter hervor. Über ein abwechslungsreiches Moderato und ein getragenes Adagio spielte sich das Ensemble zu einem furiosen Allegro molto, in dem Cambreling die Melodie nicht nur aufnahm, sondern verstärkte, variierte, die ganze Streicherrunde anregte, seinem vibrierenden Bogen zu folgen. Sein Violoncello war buchstäblich die erste Stimme, machte Tempo, unterstrich, setzte akustische Ausrufezeichen. Begeisterter, stürmischer Beifall belohnte die starke Leistung des Solisten und des Orchesters.
Für einen schwungvollen Ausklang sorgten die Rumänischen Volkstänze von Bela Bartok. Die Mischung aus schönen rhythmischen Tänzen, Märschen und auch melancholischen, fast an jiddische Kompositionen erinnernden Stücken waren noch einmal ein Spiegelbild des gesamten Abends: gut anzuhören und höchst abwechslungsreich. Die Zuhörerinnen und Zuhörer dürften sich weitgehend einig gewesen sein: Das war die gelungene Fortsetzung einer Tradition.
Autor: Arno Bäucker
weniger16.01.2023, Pforzheimer Kurier
Musik mit Gansehautfeeling
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Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim überzeugt in Mühlacker beim Neujahrskonzert
Erneut ist Mühlackers Uhlandbau 'Treffpunkt zahlreicher Musikfreunde gewesen, die sich das Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim nicht entgehen lassen wollten. Am Pult stand, nunmehr seit 39 Jahren, der Gründer dieses Orchesters, das nach fast vier Jahrzehnten für sich in Anspruch nimmt, eine besondere Art des Musizierens und Konzentrierens verinnerlicht zu haben. Musiker und Musikerinnen beeindrucken einerseits als Projektorchester durch ihr professionelles Auftreten und werkgerechte Interpretationen. Doch darüber hinaus erfreuen sie ihr Publikum immer wieder durch ihr herzerfrischendes Spiel, das sie mit so viel Freude zelebrieren, dass der Funke schnell in die Zuhörerreihen überspringt.
„… es wird einmal“ war das Programmmotto. Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart hatte Wallinger Werke verschiedenster Genres ausgewählt und so eine höchst abwechslungsreiche Konzertstunde gestaltet. Mit vier Sätzen aus Monteverdis ,,Orfeo“ und fünf aus Henry Purcells ,,The Fairy-Queen“ gelang dem Orchester ein klangprächtiger Auftakt. Doch einer redete dazwischen: Schauspieler und Theatermusiker Johann-Michael Schneider sorgte für verbalen Schmuck und rezitierte zwischen den einzelnen Auftritten stimmige Texte von Tagore, Shakespeare, Rilke und Morgenstern. ,,Alle Texte handeln von der Natur und dem Menschen in der Natur und seinem Erleben darin, ist er doch selbst ein Stück Natur“, sagte er. Besinnliche und nachdenklich stimmende Verse trug er vor, aber auch Heiteres, über das geschmunzelt und gelacht wurde.
Die Auftritte von Countertenor Nils Wanderer und Cellist Arthur Cambreling markierten zwei Höhepunkte in dem knapp zweistündigen Konzert. Wanderer brillierte mit seiner Interpretation ,,So- vente il Sole“ aus Vivaldis (1678—1741) Oper ,,Andromeda liberata“ und mit der Arie ,,When I Am Laid In Earth“ aus Purcells ,,Dido und Eneas“.
Die Zuhörer lauschten ergriffen. Besonders das fast schwermütige ,,When I am Laid In Earth“ ging unter die Haut und gar Gänsehautfeeling bescherte Wanderer mit seiner ,,Seelenarie ,,Lascia chi’io planga“ aus Händels Rinaldo. Als begehrter Countertenor ist er auf vielen Bühnen der Welt zu Hause. ,,Meine Heimat aber wird immer hier in Württemberg sein“ , sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion. Und noch etwas verriet er von seinen Zukunftsplänen. Neben seinen Tätigkeiten als Opernsänger, Schauspieler, Choreograph und Regisseur werde er ein eigenes Festival ,,Wanderer zwischen den Welten“ gründen. Seine Fans dürfen also gespannt sein.
Großen Beifall erhielt auch Arthur Cambreling, der mit der Wiedergabe von Haydns Violoncello-Konzert C-Dur sein Instrument singen ließ. Mit viel Vehemenz und Furore sprang der Bogen über die Saiten, aber gleichzeitig ließ er auch mit viel Herzblut und tiefem Empfinden, wie sein lebhaftes Mienenspiel verriet, Klangbogen lebendig werden.
Mit sechs ,,Rumänischen Tänzen“ von Bartók (1881—1945), feinsinnig intoniert, still in sich gekehrt oder mit so viel Elan, dass Stillsitzen schwerfiel, verabschiedete sich die Kammersinfonie und Dirigent Wallinger. Das Publikum feierte alle Akteure mit kaum enden wollendem jubelndem Beifall und dankte so für dieses Konzert.
Autorin: Eva Filiz
weniger13.01.2023, Ludwigsburger Kreiszeitung
„Ich gebe immer tausend Prozent“
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Der Ingersheimer Countertenor Nils Wanderer ist international auf großen Bühnen zu Hause. Jetzt wirkt der 29-Jährige an den Neujahrskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mit.
KILLARNEY/BIETIGHEIM-BISSINGEN. Der in Ludwigsburg geborene Countertenor Nils Wanderer bat als Stipendiat des Barbican Centres prägende Jahre in London verbracht, wo er mit dem London Symphony Orchestra unter Leitung von Dirigenten wie Jordi Savall und Kent Nagano aufgetreten ist. Im vergangenen Jahr wurde der in Bietigheim-Bissingen aufgewachsene Sänger mit dem ersten Preis für die beste Barockarie beim Bundeswettbewerb Gesang und dem zweiten Preis bei Placido Domingos „Operalia", dem größten Wettbewerb dieser Art, geehrt. Nun kehrt Wanderer in seine Heimat zurück und wird 2023 ein eigenes Festival aus der Taufe heben.
Zuvor ist er an diesem Wochenende neben dem jungen französischen Cellisten Arthur Cambreling als Solist in den Neujahrskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) zu hören. Wir erreichen den 29-Jährigen im südirischen Killarney - mit ein wenig Verspätung: Ein vom Sturm geknickter Baum hatte die Stromversorgung des Hauses, das er mit Freunden bewohnt, gekappt.
Guten Tag, Herr Wanderer. Konnten Sie die Sturmschäden beseitigen?
NILS WANDERER: Wir haben es vor einer halben Stunde hinbekommen: Jetzt ist der Akku wieder geladen und ich bin einsatzbereit! (lacht)
Killarney, London, Weimar, Tübingen, Ingersheim - hinsichtlich Ihres Lebensmittelpunkts kursieren unterschiedliche Informationen ...
Nachdem ich Gesang an der Hochschule für Musik in Weimar in der Klasse von Prof. Siegfried Gohritz studiert hatte, habe ich in London gelebt und den Opera Course der Guildhall School of Music & Drama absolviert, ein zweijähriges Exzellenzprogramm für jeweils 24 postgraduierte Sängerinnen und Sänger. Irland ist eine der Stationen, an denen ich regelmäßig bin: Ich gebe hier eine Meisterklasse und singe an der Nationaloper. Deshalb pendele ich oft zwischen Dublin und Kerry, wo ich mit Freunden in einem Haus wohne. Zuvor hatte ich einen Erstwohnsitz in Tübingen, seit einem halben Jahr bin ich offiziell Ingersheimer, weil meine Eltern und Großeltern da leben, aber ich bin eigentlich immer unterwegs, vor allem momentan.
Am Wochenende werden Sie als Solist an den Neujahrskonzerten der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mitwirken. Wie ist es dazu gekommen?
Peter Wallinger war mein Musiklehrer am Ellental Gymnasium, bevor ich ans Seminar Maulbronn gewechselt bin. Wir haben viele gemeinsame Freunde und Kollegen. Als der Kontakt nach mehreren Jahren wieder zustande kam, war mein erster Impuls: Ich bin so selten zu Hause, es wäre wirklich schön, auch in der Heimat wieder einmal auftreten zu können. Als Peter mir vor Weihnachten ein E-Mail schrieb, ob ich Lust hätte, an den Neujahrskonzerten mitzuwirken, traf sich das perfekt mit dem Wunsch, sich auch hier künstlerisch präsentieren zu dürfen. Sowohl im Uhlandbau als auch im Kronenzentrum stand ich schon auf der Bühne, im Kronensaal bereits in meiner Kindheit: Mit fünf Jahren war ich Solist im Knabenchor Capella Vocalis, der in Reutlingen und Besigheim aktiv ist, dazu erinnere ich ein „Sommernachtstraum"-Musical, da war ich vielleicht neun oder zehn. Es ist immer schön, zu den Wurzeln zurückkehren zu dürfen.
Royal Opera House, Teatro Massimo, Berliner Staatsoper - große Bühnen sind Ihnen nicht fremd. Worin besteht der besondere Reiz des kleineren Maßstabs der nun anstehenden Konzerte mit der SKB?
Es sind ganz klar die Menschen. Weil man mit Menschen arbeiten kann und für Menschen singt, die man sehr gut kennt, für ein offenes, persönlich zugewandtes und herzliches Publikum. Natürlich hat beides seinen Reiz - Teatro Massimo oder „kleine" intime Kammermusikbühne -, aber ich gebe immer tausend Prozent, egal, ob es für eine Person oder für tausend Personen ist. Ich freue mich auf diese Konzerte genauso wie auf jedes andere, wenn nicht noch ein bisschen mehr!
Wie Ist das Programm entstanden?
Peter hat sich Vivaldis „Sovente il Sole" aus der Oper „Andromeda liberata" gewünscht, ich Henry Purcells „When I am laid in earth“. Das hat ihn wiederum dazu bewogen, Auszüge aus dessen Semi-Oper „The Fairy Queen" nach Shakespeares „Sommernachtstraum“ hinzuzunehmen, gerahmt von Monteverdi und Bartoks „Rumänischen Volkstänzen". Der Solist in Haydns Violoncello-Konzert C-Dur ist Arthur Cambreling, Johann Michael Schneider wird ausgesuchte Texte rezitieren.
2019 haben Sie bei den Klosterkonzerten Maulbronn „Dido and Aeneas" inszeniert und die Partie der Zauberin sowie den Geist gesungen, nun werden Sie mit „When I am laid in earth" eine der berührendsten Barockarien präsentieren. Worin bestehen die größten Herausforderungen des auch als „Didos Lament“ bekannten Stücks?
Zunächst muss ich den Zusammenhang im Stück verstehen: Wo steht Dido gerade? Was hat sie bis dahin durchgemacht? Und wo möchte sie hin? In ihrem Fall in den Tod. Sängerisch ist es wichtig, Text und Musik schlüssig zu verbinden. Für mich ist diese Arie ein barockes Juwel von einzigartigem Rang: Ich habe sie schon sehr oft gesungen. Vielleicht gibt es gleich schöne Musik, aber bestimmt keine schönere. Worauf es ankommt, ist, nicht zu versuchen, eine Emotion künstlich herzustellen, etwa das traurige noch trauriger, noch emotionaler zu gestalten, sondern die Musik wirklich für sich sprechen zu lassen. Es ist egal, ob ich sie in Istanbul, in Palermo, in Indien, in Kanada singe - sie hat immer die gleiche Wirkung, weil sie so nah an den Menschen ist.
Was steht 2023 sonst noch an?
An der Staatsoper Hannover singe ich in Monteverdis „Orfeo", in der Uraufführung des Musicals „Romeo und Julia" im Theater des Westens die für mich geschriebene Countertenor-Partie des Todesengels. An der Oper Frankfurt werde ich als Tolomeo in Händels „Giulio Cesare" auftreten. Nach einer zehntägigen Meisterklasse in Kerry werde ich auf Kanada und Amerikatour gehen. Und gegen Ende des Jahres wird, wenn alles gut läuft, der erste Teil meines ersten Albums erscheinen. Vor allem möchte ich aber viel mehr in der Heimat machen und die Neujahrskonzerte mit der SKB sind da ein sehr guter Anfang. Noch in diesem Jahr soll mein Festival „Wanderer zwischen den Welten" an den Start gehen, das in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg entsteht.
INFO: Die SKB spielt am 14. Januar um 19.30 Uhr im Bürgersaal im Rathaus Murr, 15. Januar um 11 Uhr im Uhlandbau in Mühlacker und um 17 Uhr in der Kelter in Bietigheim-Bissingen.
Autor: Harry Schmidt
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